Blue Mountains, Bungonia und Mt. Buffalo
Für einen Europäer sind Känguru, Koala und Echidna ganz besondere, ungewöhnliche Tiere. Genauso anziehend sind für uns Kletterer die Felsen auf dem fünften Kontinent, ob leuchtende Sandsteinmauern der Blue Mountains, Schnörkelstrukturen der Grampians oder hauchdünne Felsnadeln im Meer. Australien ist der Traum vieler Kletterer, den auch wir uns in einem zweimonatigen Kletter-Roadtrip erfüllen wollen. Unsere Reise im Kängurustyle – große Sprünge, kleiner Beutel – stellte uns in vielerlei Hinsicht auf den Kopf…
Umweltextreme vs. Zustiegwege
Während daheim die Eiswasserfälle wachsen, schmelzen wir am anderen Ende der Welt in der australischen Sommerhitze nur so dahin. Wir wechseln im Dezember von einem Extrem ins Andere. Noch schlimmer hat es kürzlich die Blue Mountains erwischt, denn unser erstes Kletterziel ist einem verheerenden Brand zum Opfer gefallen. Anstelle der Farbkontraste von grünen Eukalyptuswäldern mit orange- roten Sandsteinfelsen fällt unser Blick auf eine traurige Mischung von Schwarz und Braun. Doch wir betrauern nicht nur die schöne Aussicht, vielmehr müssen wir zudem auf alle Klassiker im Gebiet verzichten, denn alle Zustiege zu den hohen Sandsteinmauern mit ihren langen Trad-Routen sind gesperrt. In großen, roten Buchstaben leuchtet uns überall ein unmissverständliches „DO NOT ENTER“ sowie die Androhung von 500$ Bußgeld bei Nichtbeachtung entgegen. Und da wir uns „down under“ nicht mit den Gesetzeshütern anlegen wollen, weichen wir also in die Sportklettergebiete der Blue Mountains aus. Zum Glück dürfen wir wenigstens hier am wunderbar rauen Fels Hand anlegen.
Gewöhnungsbedürftige Sicherung in Blackheath
Zugegeben, ein paar kurze Linien für den Anfang sind ohnehin nicht ganz verkehrt. So starten wir unseren Kletterurlaub im kleinen Ort Blackheath, wo wir reichlich Auswahl an verschieden exponierten Wänden finden. Von Clockwork Orange über Shipley Upper und Lower bis zur Wave Wall und Centennial Glen gibt es eine gute Anzahl interessanter Sektoren mit genügend Routen aller Schwierigkeitsgrade. Doch wie sich bald herausstellt, ist der Fels gar nicht die Schwierigkeit: der steile Sandstein ist super griffig und hat genügend Leisten, Kanten und Ecken um in athletischen Bewegungen den Fels hinauf zu tanzen – was für eine Freude, wären da nicht die „Carrots„. Dank dieser speziellen „Technologie“ ist das Klippen in einer Sportkletterroute nervenaufreibender als Klettern an schlechten, mobilen Sicherungen! Anstelle von Bohrhakenlaschen lachen uns Metallstifte entgegen, über die wir „Carrots“ (so etwas wie mobile Laschen) stülpen müssen, bevor die Expresse eingehängt werden kann. Schnelles Klippen an einer heiklen Stelle? Unmöglich! Statt dessen fummeln wir nervös mit den kleinen, unhandlichen Carrots herum, die nur zu gern auf nimmer wiedersehen im Buschwerk unter der Wand verschwinden. Wer somit nicht (mehr) über genügend Carrots verfügt, muss sich mit den Metalldrähten der Keile aushelfen. Egal ob Lasche oder Keil, was macht es schon für einen Unterschied, wo die meisten Stifte sowieso verrostetet sind. Kurz gesagt, die „Sicherung“ ist für uns gewöhnungsbedürftig bis haarsträubend…. Psycho Killer (7a+) bringt’s auf den Punkt.
Es lebe der Klebehaken
Nach einigem Suchen und genauerem Hinschauen finden wir hier und da eine sanierte Linie mit Klebehaken, was für eine Erlösung! Die sanierten Linien sind zwar meist im oberen achten Grad aufwärts, aber die Schwierigkeiten nehmen wir zugunsten der guten Sicherungen gerne hin. Erst in diesen kraftzehrenden, pumpigen Routen können wir das Klettern so richtig genießen. Ob in den überhängenden „Henkelparaden“ an der Wave Wall oder in den Dächer im Sektor Centennial Glen, hier können wir unsere winterlich vernachlässigten Klettermuskeln auf Vordermann bringen. Mit ein paar wenigen Routen pro Tag sind Muskeln und Nerven trotzdem bedient, so bleibt genügend Zeit für ausführliches Sightseeing. Nachmittags klappern wir die schönsten Aussichtspunkte ab, von den Three Sisters über Govetts Leap bis zur Hassan’s Wall, von wo wir die einzigartigen orange-grauen Mauern bewundern dürfen. Vorerst nur nach dem Motto „Anschauen, nicht anfassen“- aber diese Wände sind definitiv ein Grund, um wieder zu kommen und wenn es eine Reise um die halbe Welt bedeutet.
Kalkfelsen – Heimspiel?
Weiter geht es in Richtung Süden, immer entlang der Superlative – von den schönsten Sandsteinfelsen zu den besten Kalkfelsen Australiens. (Was nicht unbedingt etwas bedeuten muss, zumal es in Australien nur wenig Kalkfelsen gibt, aber wo Bungonia so schön auf dem Weg liegt…) Für uns „Kalkspezialisten“ sollte das ja sowieso ein Heimspiel sein. Aber auch hier ist alles anders. Angefangen beim Zustieg, der ein Abstieg in die etwa 300 Meter tiefe Schlucht ist. Aufgrund der unsäglichen Hitze nehmen wir den angenehmen Teil der Tour nur allzu gern hin und stehen bald im schattigen, kühlen Canyon. Zu beiden Seiten erheben sich die glatten Kalkwände mit beeindruckenden Strukturen. Im Australien-Gesamtführer haben wir uns die Linie Red Supergiant (6b) ausgesucht, die einer offensichtlichen Felsrampe folgt. Als wir nach vier Seillängen erste Fixkeile mit Rückzugskarabinern finden, scheint der Routenverlauf nicht mehr ganz so offensichtlich. Die Sicherungen erfordern ein steigendes Maß an Phantasie, anstelle der angepriesenen Bäume müssen Sträucher für die Stände herhalten. Bald wird der kleinste Heidelbeerbusch mit einer Schlinge verziert und dankend in die Sicherungskette aufgenommen. Richtig abenteuerlich wird es kurz vor dem Ausstieg, wo der Fels „karwendlig“, also zunehmend brüchig wird. Erst kurz vor Dämmerung erreichen wir endlich den Ausstieg. War das nun Red Supergiant, eine neue Linie oder Georg’s Versuch mich umzubringen? Wir werden es nie erfahren.
Ein echter Ruhetag
Am nächsten Tag beschließen wir einstimmig einen Ruhetag einzulegen. Da kommt uns das Angebot unseres Zeltnachbarn gerade recht, eine Höhle zu erkunden. Gemeinsam studieren wir Wasserspiegel und CO2-Level der zahlreichen Höhlen, beeindruckend worauf man achten muss?! Die Höhle scheint wie eine neue, erfrischende Erfahrung. Kurz vor dem Abseilen in den engen Spalt erzählt uns Dave fast beiläufig einen Schwenk aus seinem Leben. Während des Studiums war er viel in Höhlen unterwegs, meist mit seinem Kumpel Ivan Milat, der später als „Massenmörder von Goulburn“ entlarvt wurde… wir sind also gerade dabei mit dem besten Kumpel eines Massenmörders in eine dunkle Höhle zu seilen? Für einen Rückzieher ist es zu spät. Im Dunkeln der engen Gänge wird aus meinem Unbehagen echte Panik. Der anstehende Engpass, durch den wir uns quetschen sollen, ist die beste Gelegenheit um abzuspringen. „Jungs, ich warte hier auf euch!“ Als mich Georg bittet, die Ranger zu holen, falls er in 15 Minuten nicht zurück sein sollte, ist mein Puls bei 300. Die Jungs sind kaum weg, da ergreife ich die Flucht hinaus ins Licht. „Die eigene Haut retten und den Freund im Stich lassen, so eine bist du also,“ hallt Georgs erlöste Stimme kurze Zeit später aus dem dunklen Loch. Da ist nicht nur mir ein riesen Stein vom Herzen gefallen. In Zukunft bewegen wir uns doch lieber wieder zu zweit in der Vertikalen, ist irgendwie sicherer. Einen wirklichen Ruhetag für die Nerven bekommen wir demnach erst wieder am Mount Kosciuszko in den Snowy Mountains. Einfach nur einen Fuß vor den anderen setzen, eine Erholung, die uns ganz nebenbei den ersten Gipfel der Seven Summits einbringt.
Fakirbrett statt Campusboard
Nach so viel Kletterpause kribbelt es schon wieder in den Fingern. Nächster Halt sind die Blöcke am Mount Buffalo, wo wir wörtlich auf Granit beißen dürfen. Diese vergleichsweise kleinen Boulder von 15 bis 30 Metern haben es wirklich in sich. So unscheinbar die Routen auch aussehen, so verrückt sind ihre Kletterbewegungen. Die scharfen Granitblöcke haben etwas von einem senkrechten Fakirbrett. Nach wenigen Stunden haben somit die zahlreichen Hand- und Knieklemmer in den Rissen ihre Spuren hinterlassen. Aber je härter der Kampf um einen Block, desto breiter das Grinsen in unseren Gesichtern wenn wir oben stehen. Die paar blauen Flecken und Schrammen sind im Vergleich folglich nur Monty Python’sche „Fleischwunden“. Wie gut dass es bald wieder in „weichen“ Sandstein geht – zu den Grampians und an den berühmten Arapiles – sonst enden wir noch wie der berühmte schwarze Ritter …
Grampians und Arapiles
Auf in die Grampians, einem der bekanntesten Kletter-Eldorados in Australien. Schon beim Blättern durch den Kletterführer ist klar, ob Sport oder Trad, hier findet jeder das Seine. Für den Anfang haben wir uns den Mount Rosea ausgesucht, mit seinen Trad- Linien in gemäßigten Schwierigkeitsgraden. “Auf den Fersen des Feuerteufels“, so könnten wir unseren Kletter-Road-Trip durch Australiens Süd-Westen nennen. In den Grampians hat es vor ein paar Jahren gebrannt.
Die hellgrüne Blätterpracht leuchtet im Kontrast zu den verbrannten, schwarzen Baumstämmen. Beeindruckend, wie sich die Natur regeneriert, wie überall das neue Leben sprießt. An riesigen Grasbäumen vorbei, geht es durch lichten Eukalyptuswald auf schmalen Pfaden den steilen Hang empor, bis wir unter der grau-rosa eingefärbten Felswand stehen. Ihre Risse und Verschneidungen ziehen durch das grüne Blätterdach in den blauen Himmel hinauf. Wir haben die Qual der Wahl zwischen einem Duzend Routen, die alle verlockend aussehen. Uns schwebte ein entspannter Klettertag an gutem Fels und soliden Sicherungen vor und dafür sind wir hier genau richtig. Nach dem Motto “nimm zwei” entscheiden wir uns für die als beste Route angepriesene Martin Eden (6) für den Anfang und The Jesus Factor (8-) obendrauf. Welch eindrucksvoller Auftakt für eine Woche Klettern in den Grampians!
RICHTIGE AUSRÜSTUNG IST DIE HALBE MIETE
Am Mount Difficult verrät schon der Name, was zu erwarten ist. Wunderschöne bunte Wände, aber glatt und steil wie eine Festung mit einer Marmorfassade. Als Sicherungen gibt es nur rostige Carrot-Stifte, es winken nervenzerreibende Clipping-Zitterpartien wie in den Blue Mountains. Dabei wären in der rechten Wand wunderschöne, wasserzerfressene Strukturen, die genügend Möglichkeiten für mobile Sicherungen bieten. Wieso gibt es hier keine Routen?! Wir beschließen kurzerhand einen eigenen Weg durch diesen verlockenden Wandteil zu suchen – auf ins Abenteuer!
Die Strukturen verschlingen unsere Friends und Keile, regelmäßig lässt sich einer der Felswulste mit einer Bandschlinge abbinden oder eine Sanduhr legen. Nach drei langen Seillängen stehen wir auf einem Felsen, der von der Seite aus betrachtet aussieht wie der Kopf eines Nilpferds. Er ist nur eine von vielen Gipfelzacken, die das etwa 100 Meter hohe Felsmassiv zieren. Zu beiden Seiten zieht sich unser Felsriegel soweit das Auge reicht, hinter uns erstreckt sich eine weite Hochebene voller Dickicht und Gestrüpp. In dieser wildromantischen Umgebung stört nur eine klitzekleine Nebensächlichkeit: wie kommen wir hier eigentlich wieder herunter? Irgendwo rechts müsste der Wanderweg sein… eine Stunde später schlagen wir uns immer noch durch das Gestrüpp, müssen immer wieder kleine Bäumchen erklimmen um uns zu orientieren. Es ist grotesk, denn vom Rand der Felswand können wir den Parkplatz sehen. Der nächste Baum am Rand der Schlucht wird kurzerhand zum Abseiler umfunktioniert. Ein glücklicher Zufall bringt uns zu einem weiteren Baum 50 Meter tiefer, von dem aus wir direkt auf dem Wanderweg unter der Wand landen. Na also, geht doch – es lebe unser 60 Meter Doppelseil!
BISSIGER TAIPAN
Nach diesen Trad-Abenteuern ist zur Abwechslung wieder Sportklettern angesagt, an der berühmt-berüchtigten Taipan Wall. Benannt nach der hier lebenden Taipan Schlange, deren Gift genauso tödlich ist wie die Hakenabstände und die Schwierigkeit der Routen an dieser Wand. (So reime ich mir das zumindest zusammen!) Neurotoxisch sozusagen, für Kletterer daher magisch anziehend, auch für uns! Die 70 Meter hohe, überhängende Wand leuchtet schon von weitem Orange-Rot herüber, sie ist umrahmt von wasserzerfressenen, grauen Strukturen des soliden Sandsteins der Grampians. Der Traum eines jeden Kletterers. Zunächst wollen wir uns in einer der leichteren Routen einklettern, Tokyo Connection (6) ist fast die einzig leichte Linie rund herum, dafür aber ohne Haken. In Anbetracht einer so coolen Linie also doch wieder Trad.
Ein Riss-System zieht in einem langen Bogen zu einem Dach hinauf, das (Yosemite-like) in einer langen Traverse umgangen wird. Da winken spannende Momente für den Vor- und Nachsteiger! In gebückter Stellung den schmalen Riss klemmend und auf der glatten Platte stehend, bleibt nur zu hoffen, dass keine Hand und kein Fuß wegrutscht, sonst droht ein laaanger Kiene-Swing. Wie so oft ist die Phantasie wilder als die Wirklichkeit, sodass wir diese fantastische Linie ohne extra Portion Adrenalin hinter uns bringen. Schon stehen wir weiter rechts unter den “ernsthafteren” Routen. Die Schwierigkeiten fangen hier bei 7b gerade erst an, dementsprechend glatt und überhängend ist dieser Wandbereich. Der erste Bolt in unerreichbarer Höhe wird (wie in Australien üblich) mit einem Clip-Stick eingehängt. Der Puls ist trotzdem gleich auf 200: mickrige Griffe, lange Züge – keuchend, schwitzend, stöhnend geht es Zentimeterweise nach oben. Der erste Stand ist wie eine Erlösung, auf weniger als 30 Meter ist die komplette Kraft verpufft. Ja, es ist heiß wie im Backofen, aber wir wissen beide zu genau, dass die Temperaturen nur ein Vorwand für den Rückzug sind. Der Fels hat uns wieder einmal auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht.
STREICHELTIER-ZOO
Schon am frühen Nachmittag lungern wir also am Mount Stapylton Campground herum. Kreisförmig umschließen zahlreiche Zelte die runde Grasfläche in der Mitte, wo wir endlich Wallabys aus der Nähe erleben. “Schaue mal, wie süß, ein Junges…!” Eingelullt in diese idyllische Szene hebe ich nichts ahnend eine Tasse vom Boden, da springt mir eine riesige Spinne entgegen! Ein faustgroßer Huntsman, auf Deutsch Riesenkrabbenspinne. Vogelspinnenartig mit dicken, behaarten Beinen – in weitem Bogen fliegt die Tasse über den Platz während ich kreischend einen riesen Satz nach Hinten mache. Das angriffslustige Viech verfolgt mich hüpfend wie ein Känguru einige Meter um das Zelt, bevor sie von mir ablässt. Ja spinne ich! Meine ungeplante “Einlage” erheitert den ganzen Campingplatz. Vielleicht sollte ich in diesem elektrisierten Zustand noch einmal zur Taipan Wall hinauf gehen…
FROM TWELVE TO THREE, SLEEP UNDER A TREE
Stefan Glowacz hängt lässig an einem Arm, natürlich seilfrei, am Eck eines ausladenden Daches. Unter ihm die Weite der australischen Savanne. Dieses beeindruckende Foto ging um die Welt, es ziert unter Anderem das Cover seines Buches “On the rocks“. Wo diese Route nur noch einen Katzensprung von uns entfernt ist, haben wir als deutsche Kletterer doch sozusagen die Pflicht, ihr einen Besuch abzustatten?! Ein paar Autostunden später erreichen wir den kleinen Zeltplatz am Arapiles, dem zweiten weltberühmten Klettergebiet im Bundesstaat Victoria. Kilometer über Kilometer fester Sandstein, die Routenanzahl könnte uns locker die nächsten paar Wochen beschäftigen. Wenn es nur nicht so heiß wäre! “From twelve to three, sleep under a tree“…besser gesagt, in der Hängematte abhängen bis die Lebensgeister wieder erwachen.
Klettern ist nur früh morgens und Spätnachmittags möglich. Für heute begnügen wir uns mit einer kurzen Route an der Tiger Wall und der Drei-Sterne-Route The Bard (4) am Sektor Bard Buttress, um die Kühle des Abends zu nutzen. Der feste Sandstein ist rau und lässt sich perfekt absichern, das Klettern durch griffige Dächer und beste Strukturen ist wie eine Sucht. Kurz nach Sonnenaufgang sind wir schon an der berühmten Kachoong (7+), wo sich Georg athletisch durch das Dach schwingt. Glowacz-like nur mit Seil. Was für eine coole Linie! Kaum oben eilen wir schon wieder herunter, um die nächste Tour in Angriff zu nehmen. So geht das eine knappe Woche, in der wir die schönsten Routen am Arapiles klettern. Die Pausentage sammeln wir für später, wenn wir wieder Strecke machen müssen: auf dem Weg zum schönsten Klettergebiet Australiens – nach Tasmanien!
Tasmanien
Es gibt Fotos, die lassen dich nie wieder los. So ging es Georg, als er das Bild vom Totem Pole auf Tasmanien gesehen hat. Der Traum, diese dünne Nadel einmal zu klettern, blieb immer in seinem Kopf und letztendlich war sie der eigentliche Grund für unsere Australienreise. Jetzt, wo wir im Flugzeug in Richtung Tasmanien sitzen, ist sie wieder ganz präsent. Vielleicht wird dieser langersehnte Traum in ein paar Tagen erfüllt und Georgs Wunschliste um einen Gipfel kürzer?
EPIC ODER MARVEL
Über 1000 Kletterrouten gibt es allein in Launceston, doch uns zieht es aus vielerlei Gründen in Richtung Süden. Natürlich wegen dem Totem Pole, aber auch, weil es für unseren Geschmack zu viel Stadt, zu viele Menschen, zu viel Zivilisation ist. “Many climbs are only a 10 minute walk away from the city center and the weather is generally better here” zu einfach und zu bequem, da suchen wir lieber das Abenteuer. Auf einer Insel, die fast nur aus unberührter Natur besteht macht das in unseren Augen mehr Sinn. Unsere erste Station heißt deshalb Ben Lomond: eine 30 Kilometer lange Dolerite Mauer, wie der Führer verspricht. “A place of epics and marvels”, das ist schon eher nach unserem Geschmack.
Wie Orgelpfeifen stehen die Säulen dicht nebeneinander und bilden einen perfekten Riss neben dem anderen. Hunderte Linien von bis zu 200 Metern Höhe sind nur einen Katzensprung vom Parkplatz entfernt. Die einzige Unannehmlichkeit ist unsere Ausrüstung, denn wir haben nur wenige Friend-Größen doppelt dabei. In den nächsten Tagen geben wir uns deshalb fröhlichem Leap-froggen und wilder Seilführung hin, um wieder und wieder auf den Gipfel des Felsriegels zu klettern. Von der Local Loser buttress bis zu den Frew’s Flutes, wo wir in Routen wie Rajah, Barbe di Vendetta und Defender of the faith unsere Leidenschaft für Risse wiederentdecken. Und das in völliger Einsamkeit – wir sind nicht nur die einzigen Kletterer hier, sondern die einzigen Besucher weit und breit. In der “primitive camping area” können wir es uns richtig gemütlich machen, in der Hängematte chillen und Wein schlürfen, den Abend verbringen wir philosophierend am Lagerfeuer. Könnte das Leben schöner sein?
FREYCINET
Nicht der Sekt, sondern schneeweiße Strände vor türkis- und smaragdgrünem Meer. Die Ostküste Tasmaniens ist ein beliebte Urlaubsregion für Einheimische und Australier. Uns interessieren zudem die zahlreichen, kleinen Klettergebiete entlang der Küste. Vom Klippenklettern, bei dem man 30 bis 50 Meter zum Meer abseilen muss, bis zu kleinen Granitblöcken, die entlang der Felsküste verteilt sind. Orange leuchtende Flechten bilden einen einzigartigen Farbkontrast zu der wunderschönen Küste. Nur die kühle Brise und das unbeständige Wetter machen uns hier und da einen Strich durch unsere Rechnung, sodass es bei ein paar vereinzelten Routen hier und da bleibt. Nicht weiter schlimm, denn noch ist das unbeständige Wetter eine willkommene Abwechslung zur Hitze des australischen Festlandes und eigentlich sind wir ja nur auf der Durchreise in Richtung Süd-Osten, unterwegs zur Tasman Peninsula. Liebhaber von Traversen sollten aber eine Klettertour nicht auslassen: die zwei Kilometer lange Hazard Sea-level Traverse ist sicherlich ein Abenteuer für sich…
VON SCHOTTERPISTE ZUM KLIPPENRAND
Während auf “Mainland” beim Autoverleih deutlich betont wurde, dass wir nicht auf ungeteerten Straßen fahren dürfen, gab es auf Tasmanien nur den kurzen Hinweis, dort bitte vorsichtig zu fahren. Der Grund ist bald klar, wer auf Tasmanien nur auf Teer unterwegs sein will, wird nicht weit kommen. Schon über Stunden brettern wir auf staubigen Schotterpisten dahin, immer tiefer hinein in die schattigen Eukalyptuswälder. Die Straße endet in der idyllischen Fortescue Bay, dem Ausgangspunkt für die hiesigen Sea-Stacks. Wie es scheint vor allem ein guter Platz zum Angeln, denn es wimmelt nur so von Fischern. Wanderer und Kletterer verirren sich zumindest zu dieser Jahreszeit vergleichsweise selten hierher. Wir reißen unsere Rucksäcke aus dem Auto und sind schon unterwegs in Richtung Cape Huay. Über Holzstege durch unberührte Natur erreichen wir keine Stunde später den Klippenrand und recken neugierig unsere Hälse in Richtung Abgrund. Noch nichts zu sehen. Ein schmaler Pfad führt durch die steile Böschung abwärts und in einer Querung um die Kante herüber zum Abseilstand. Erst hier kommt vom Klippenrand die dünne Felsnadel in Sicht: wie eine zerbrechliche Kerze aus Stein steht der Totem Pole zwischen den hohen Wänden von tasmanischer Küste und dem Nachbarfels des Candle Stick. Allein dieser Anblick war die ganze Reise wert, doch wir wollen mehr. Wir wollen hinauf und dazu müssen wir erst einmal hinunter zur Basis. Vom unteren Stand wollen wir einer nach dem anderen zwischen zwei Wellen zum Stand am Totem Pole überwechseln. Doch der Tidenhub ist gewaltig! Der Wasserspiegel steigt bei jeder Welle um mindestens 1,5 Meter und fegt uns fast vom Stand- keine Chance um da herüber zu kommen! Wir müssten zum Totem Pole schwimmen. Die ernüchternde Einsicht: ohne Ebbe-Phase geht hier gar nichts.
ÜBUNG MACHT DEN MEISTER
Der Totem Pole hat bei uns schon nach dieser kurzen Erkundungstour seine Spuren hinterlassen. Eingeschüchtert durch die Naturgewalten schleichen wir ins Camp zurück, in den Köpfen schwirren lauter Fragezeichen. Wie soll das gehen, auch bei der größten Ebbe schwappen uns doch die Wellen weg, und wie funktioniert die Tiroler Traverse ganz konkret?! Einstimmig ziehen wir uns in ein etwas gemäßigteres Übungsgelände zurück, am Cape Raoul gibt es eine Vielzahl kleinerer Nadeln die man trockenen Fußes erreichen kann. Dafür müssen wir allerdings eine lange Wanderung auf uns nehmen. Wie Orgelpfeifen stehen die dünnen Felsnadeln nebeneinander, dahinter leuchtet blau das Meer. Die Basaltsäule Finger of Blame passt irgendwie zu unserer Situation und ist mit drei Sternen bewertet. Zudem ist es die dünnste Nadel, ein bisschen Adrenalin muss sein. Aufgrund der angekündigten “terrible exit pitch” fixieren wir beim Abseilen in die Schlucht eines unserer Halbseile, um später daran hinauf zu prusiken. Ab hier geht es also mit einem Strang weiter. Über eine lange Traverse erreichen wir seine benachbarte Felsnadel, wo uns eine drei Meter breite und 30 Meter tiefe Schlucht vom Finger of Blame trennt. Kein Problem für Georg, der beim Abseilen kurz herüber schwingt, aber jetzt soll ich folgen. “Nimm deine Sicherung heraus und spring!” Mein Zeigefinger wandert zur Schläfe, das hat er doch nicht ernst gemeint, oder? Wir wollten doch die Tiroler Traverse üben?! Ich fixiere das Seilende und schwebe gesichert zu Georg herüber, der jetzt über die glatte Mauer zum Gipfel hinauf tanzen darf – eine schlappe 8-. Im Nachstieg schrubbt das 7.8 mm Tendon Master über die scharfe Kante des Gipfels. “Vielleicht solltest du das Seil nicht unbedingt zu sehr belasten”… Georg versteht es die Motivation beim Klettern aufrecht zu erhalten. Ein Blick in die Tiefe gibt mir die nötige Kraft um den winzigen Gipfel zu erreichen, von dem wir über unsere “Tyrolean” elegant zum Ausgangspunkt herüber seilen. Genauso machen wir das am Totem Pole, auf zum Cape Hauy!
KLETTERN NACH DEM MONDKALENDER
Mondkalender sind nicht unbedingt unser Ding, weder beim Haareschneiden noch beim Blumengießen. Aber hier am Pole ist er das Ass im Ärmel. Es geht um Nippfluten und den Stand von Sonne, Mond und Erde. Ganz abgesehen von Windstärken und Hoch- und Tiefdruckgebieten, denn neben Tide ist das Wetter momentan unser größter Feind. “Four seasons a day is typical Tassie weather“, lacht der Ranger auf die Frage nach einem Wetterbericht. Gute Bedingungen am Pole sind unvorhersehbar, für uns wie ein Sechser im Lotto. Nach einigem Abwarten beschließen wir, es einfach zu versuchen. Wo ein Wille ist, da gibt es auch einen Weg…
MATERIAL
Tendon Master 7.8mm (Halbseile) und Tendon Hattrick 10.2mm (Einfachseil)
Onyx und Garnet, Helm Penta, Karabiner, Expressen
Totem Cams und Basic Totem Cams
Triop Tiger Kletterschuhe
Optimus Polaris Kocher (Benzin und Gas) mit Optimus Terra Lite HE Cook Set Töpfen
ENO Doublenest Reisehängematte
Mehr Fotos gibt’s auf www.d-on-r.de