Was war Dein erstes „richtiges“ Hochgebirge, das Du gesehen hast? Die Alpen? Bei mir war es die Hohe Tatra im zarten Alter von sechs. Das ist zwar Jahrzehnte her, hat aber Nachwirkungen bis heute. Denn die Eindrücke von damals pflanzten mir diese unauslöschliche Bergbegeisterung ein. Deshalb behaupte ich, dass das „kleinste Hochgebirge der Welt“ wirklich beeindruckend und den Besuch wert ist.
In Zeiten des geteilten Deutschlands war die an der polnisch-slowakischen Grenze gelegene Hohe Tatra das einzige für DDR-Normalbürger erreichbare Hochgebirge. Heute ist sie zum Glück eine Option unter vielen. Für den Ostteil Deutschlands ist sie nach wie vor „strategisch günstig“ gelegen, denn von Dresden, Leipzig oder Berlin aus ist es in die Tatra nicht weiter als ins Allgäu. Die Entfernung ist also kein Grund, sich die Tatra entgehen lassen. Und es kommen noch die besondere Schönheit und der hohe Erlebniswert auf der Habenseite hinzu.
Der besondere Wert der Hohen Tatra als Naturraum spiegelt sich auch in ihrem Status als Nationalpark und UNESCO Biosphärenreservat. Die Nationalparkorganisation heißt TANAP und unterhält Büros in den meisten Talorten. Reisende können dort Informationen zu Wetter, Verhältnissen und vielem anderen erfragen.
Gebirge und Landschaft
Die Hohe Tatra ist der Beginn und zugleich der höchste Gebirgsstock der Karpaten, die sich von hier aus über die Ukraine bis nach Rumänien ziehen. Ihr Hauptkamm ist nur 26 Kilometer lang, beherbergt aber immerhin 25 Gipfel, die höher als 2500 Meter sind.
Von der slowakischen Südseite gesehen zeigt sich die Tatra als rauer und archaisch anmutender Gebirgszug. Sie ragt unvermittelt über einem weiten, fast steppenhaften Tal auf und reiht ihre mächtigen Gipfelkegel in einer gleichmäßigen Kette aneinander. Mit etwas Schnee gezuckert und etwas Fantasie könnte dies auch ein Gebirge in Zentralasien sein. Immerhin weist auch das raue, kontinentale Klima klar in Richtung Osten.
Von der polnischen Nordseite gibt die Tatra eher das „klassische“, von den Alpen bekannte Gebirgsbild ab, mit langen, geschwungenen, tief ins Gebirge führenden Tälern. Der Unterschied liegt darin, dass der Tatra-Hauptkamm nicht in der Mitte des Gebirges liegt, sondern am südlichen Rand.
Anders als die optisch entfernt ähnlichen nördlichen Kalkalpen besteht die Hohe Tatra aus einem speziellen Granit, der schneller erodiert als der Granit in den westlichen Zentralalpen – und somit den Bergen ein ganz eigenes Aussehen verleiht.
Da die Gipfel nur maximal 2650 m erreichen, reicht es trotz des harten Klimas nicht für Gletscher. Dafür sorgt das raue Klima für eine Baumgrenze, die bei etwa 1500 Metern erreicht und damit niedriger als in den Alpen liegt. Das bedeutet man kommt schneller in den Bereich der offenen Landschaften und Ausblicke.
Langweilig ist die Landschaft trotz fehlender Gletscher ganz und gar nicht, da um die 150 Bergseen einen mehr als würdigen Ersatz bieten. Und die früheren Gletscher der Eiszeiten haben viele der dicht gestaffelten Gipfel schroff und steil herausgearbeitet. Die Bergketten sind kurz, erreichen aber fast immer die 2500-Meter-Marke und sind komplex verzweigt, sodass sich eine spannende Topografie mit vielen Wander- und Tourenmöglichkeiten ergibt. Die Schroffheit und die kleine Flächenausdehnung sind zwei Gemeinsamkeiten der Tatra mit den hier ebenfalls demnächst vorgestellten Picos de Europa in Spanien. Abgesehen davon sind die beiden Mini-Gebirge jedoch völlig verschieden.
Zahlreiche Besonderheiten der Hohen Tatra
Bemerkenswert ist das konsequente Engagement insbesondere der Slowaken für den Naturschutz. Das zeigt sich unter anderem dadurch, dass Hubschrauber nur in äußersten Notfällen zum Einsatz kommen und die Lifte und Bergbahnen sich auf wenige Zentren beschränken.
Um dennoch warme Mahlzeiten und Getränke auf den Berghütten anbieten zu können, setzt man auf die Muskelkraft der „Sherpas“. Diese Lastenträger transportieren 40 Kilo und mehr an Lebensmitteln, Getränken und Bedarfsgütern auf ihren hölzernen Lastengestellen zu den Hütten. Da kann auch mal ein Bierfass oder ein Kartoffelsack dabei sein. Als Letzte ihres Standes in Europa sind die „Sherpas“ hoch angesehen und tragen zu Saisonbeginn traditionelle Wettkämpfe aus.
Trotz der geringen Größe und der punktuell dichten Erschließung hat sich die Tatra eine bemerkenswerte Ursprünglichkeit bewahrt. Das Ökosystem ist soweit intakt, dass sich auch Bären und Wölfe heimisch fühlen und in beachtlicher Zahl umherstreifen. Was auch für Wanderer kein Grund zur Sorge ist, denn die Großsäuger leben zurückgezogen und meiden Begegnungen mit Menschen. So gibt es in der Tatra heimische Waldarbeiter, die Meister Petz noch nie gesehen haben.
2004 wütete ein Orkan, der zunächst als Umweltkatastrophe galt, weil er rund 120 km² des südlichen Waldgürtels vor der Tatra zerstörte. Allerdings zeitigt das Ereignis auch gute Seiten, denn viele zuvor monotone Fichtenforste wachsen nun als naturbelassener Mischwald nach.
Worauf muss ich beim Wandern in der Hohen Tatra achten?
Fangen wir mit dem Erfreulichen an: die Tatra hat auf engem Raum viele Schönheiten und Naturschätze zu bieten – und zwar auch für ein wenig bergerfahrenes und trainiertes Publikum. Sehr hilfreich sind dabei die Bergbahnen auf der slowakischen Seite (Solisko, Hrebeniok-Standseilbahn, Lomnický štít/Lomnitzer Spitze) und die Kasprowy Wierch Seilbahn auf polnischer Seite. Am höchsten hinauf schwebt die Gondel auf die Lomnitzer Spitze, den mit 2634 m zweithöchsten Berg der Hohen Tatra.
Alles in allem ist die Tatra ein sehr familienfreundliches Reiseziel. Individualistische Abenteurer, die Stille und Abgeschiedenheit suchen, finden nur vereinzelte Reviere. Wer sich jedoch auf angemeldete Alpenvereinstouren oder geführte Touren einlassen kann, findet auch als ambitionierter Berggänger viele spektakuläre Gipfel, Grate und Wände vor.
Die besten Zeiten für Wanderungen und Bergtouren sind wie in den Alpen der Früh- und Hochsommer sowie der Frühherbst (Mitte Juni bis Ende September). Wenn möglich sollten die Wochenenden und Ferienzeiten umgangen werden.
Naturschutz und Sicherheit
Der höchste Berg ist die drei Täler und sieben Kilometer westlich der Lomnitzer Spitze gelegene Gerlachovsky Stit/ Gerlsdorfer Spitze. Ihr Gipfel ist auf alpinen Wanderpfaden mit leichten Kletterstellen erreichbar. Allerdings nur mit einem verpflichtend zu buchenden Bergführer oder im Rahmen einer angemeldeten Vereinstour. Diese Zugangsbeschränkung gilt auch für alle anderen Gipfel, auf die kein eindeutig ausgewiesener Wanderweg führt.
Hinzu kommt zwischen November und Mitte Juni eine Sperrung der meisten Wanderwege oberhalb der Hütten. Man kann also nicht wie in den Alpen nach Lust und Laune auf jeden weglosen Gipfel steigen. Auch dürfen die markierten Wege nicht verlassen werden. Wenn man es trotzdem versucht, darf man mit empfindlichen Geldstrafen rechnen.
Dieses hohe Maß an Reglementierung ist der Preis für die Ursprünglichkeit und Naturbelassenheit der Hohen Tatra trotz ihres kleinen Raums und des hohen Besucheraufkommens. Dabei geht es nicht nur um den Naturschutz, sondern auch um die Sicherheit der oftmals unerfahrenen Besucher. Die Notwendigkeit von Rettungsflügen mit dem Hubschrauber wird auf diese Weise minimiert.
Falls das nun etwas abschreckend klang: keine Sorge, es bleiben genug frei zugängliche Wege und Gipfel für einen erfüllten Bergurlaub.
Wer auf eigene Faust unterwegs ist, fragt sich natürlich, wo es am schönsten und lohnendsten ist. In der Hohen Tatra ist das leicht zu beantworten: jedes einzelne Tal ist auf seine eigene Weise schön und lohnt den Besuch. Das kann man sogar guten Gewissens für die Touristenzentren an der Südseite sagen. Ein Beispiel ist der Bergsee Štrbské Pleso, der stark erschlossen, leicht erreichbar und dennoch traumhaft schön ist. Außerdem ist er der Ausgangspunkt für viele einfache und erlebnisreiche Wanderungen sowie für die Paradebergtour auf den zentral gelegenen, 2503 m hohen Rysy.
Wandern in der Hohen Tatra – leicht und familienfreundlich
Polen
Morskie Oko und Tal der Fünf Seen: Das „Meerauge“ Morskie Oko ist ein idealtypischer Bergsee, der vom Wall Street Journal 2014 zu einem der fünf schönsten Seen weltweit gekürt wurde. Zwar haben solche Rankings selten Aussagekraft und hier stellt sich außerdem die Frage, warum Finanzexperten Bergseen statt Aktienkurse bewerten, aber eine nette Werbehilfe ist es allemal.
Der Weg zum See ist ein langer Spaziergang, der wahlweise auch mit der Pferdekutsche zurückgelegt werden kann. Am direktesten geht es von den Parkplätzen auf den Almen Łysa Polana (dort direkte Busverbindung nach Zakopane) und Palenica Białczańska aus über den rot markierten Wanderweg zum Wasserfall Wodogrzmoty Mickiewicza. Von dort geht es entlang der Panoramastraße Oswald-Balzer-Weg zum See, wo man eine stimmungsvolle, wildromantische Hochgebirgsumgebung genießt. Allerdings ist man dabei selten allein.
In der direkten Umgebung warten weitere, ebenfalls gut erreichbare und schöne Bergseen.
Mehr Infos dazu findest du auf der Seite von Zakopane.
Slowakei
Vom Štrbské Pleso zum Popradské Pleso: Vom weitläufigen, waldumrahmten Štrbské Pleso/Tschirmer See führt diese kurze Seenwanderung zum nächst höher gelegenen Popradské Pleso/Poppersee. Zunächst geht es etwa anderthalb Kilometer zur Station Popradské Pleso der Tatrabahn. Hier am Beginn des Tals Mengusovská Dolina beginnt der bequeme Fuß- und Radweg, der in einer guten Stunde zum Poppersee hinaufführt. Dort warten tolle Ausblicke und mehrere Einkehrmöglichkeiten.
Mehr Infos bietet Allrails.com.
Radwanderung Koprova Dolina: Entspannt und familienfreundlich führt die kurze Radtour durch das wunderschöne und weitläufige Koprova Tal in der südwestlichen Tatra. Ausgangspunkt ist das Örtchen Podbanské, in dessen Zentrum sich Busstation und Parkplatz nebeneinander befinden. An der gegenüberliegenden Flussseite beginnt das gut ausgebaute Forststräßchen, dass dem Fluß Belá talaufwärts folgt. Nach anderthalb Kilometern verzweigen sich die Täler – rechts führt das Koprova Dolina in die Bergwelt hinein. Ihm folgt der Rad- und Wanderweg knapp 10 km bis zu zwei kleinen Wasserfällen. Alternativ zur Rückkehr kann der Radlausflug hier zur Bike & Hike Tour verlängert werden.
Mehr Infos kannst du dir bei Outdooractive holen.
Naturlehrpfad Skalnaté Pleso – Hrebienok: Von der Mittelstation der Lomnitzer-Spitze-Seilbahn zur Zahnradbahn-Bergstation Hrebienok führt diese leichte aber eindrucksvolle 2-Stunden-Bergtour. An 12 Informationspunkten wird die Geschichte der Hohen Tatra und des Naturschutzes vorgestellt.
Mehr Infos liefert dir die Seite Bergfex.at.
Predné Solisko: Schöner Gipfel mit stattlichen 2117 m, dank der auf 1800 m führenden Seilbahn von Štrbské Pleso auch für Kinder gut zu erwandern ist.
Mehr Infos hier!
Längere und anspruchsvollere Wanderungen
Polen
Rysy, 2503 m: Der zentral gelegene Felsstock ist der höchste Berg Polens und eine tolle Aussichtskanzel. Er gehört zu den Tatra-Gipfeln, die ohne Beschränkungen zugänglich sind. Der Aufstieg von der polnischen Seite aus gilt als etwas schwieriger, führt aber am schönen Morskie-Oko-See (s.o.) und einem kaum weniger schönen weiteren Bergsee vorbei. Wer wenig Bergerfahrung hat, sollte den leichteren Slowakei-Anstieg von Štrbské Pleso aus wählen.
Mehr Infos zu Wanderungen in Polen.
Slowakei
Slavkovski Stit, 2452 m: Dieser beeindruckend große Kegel gehört ebenfalls zu den Tatra-Gipfeln, die ohne Beschränkungen zugänglich sind. Der Aufstieg beginnt in Starý Smokovec oder 300 m höher an der Hrebienok-Bergstation. Der Weg ist durchgehend gut ausgebaut, markiert und beschildert, sodass abgesehen von solider Kondition kaum Anforderungen gestellt werden.
Für mehr Infos hier entlang.
Krivan, 2494 m: Der „Krumme“ ist als nationales Symbol auf den slowakischen Centmünzen abgebildet und jeder Slowake „muss“ wenigstens einmal im Leben oben gewesen sein. Besonders von Westen her gibt dieser markante Eckpfeiler der Tatra ein beeindruckendes Bild ab. Seine Besteigung ist erfreulich einfach und ohne Beschränkungen möglich. Allerdings erfordern die 1400 zu überwindenden Höhenmeter eine gute Kondition. Der kürzeste Weg startet am Parkplatz nahe der Hütten von Tri Studničky (1140 m).
Mehr Infos zum Krivan gibt es auf dieser Seite.
Trekking in der Hohen Tatra?
Zelten ist in der Tatra verboten, weshalb ein Trekking im engeren Sinne nicht möglich ist. Es gibt jedoch genügend Berghütten und viele Pässe, Übergänge und Aussichtspunkte, um mehrtägige Durchquerungen und Rundtouren zusammenzustellen. Die bekannteste mehrtägige Strecke ist die Tatra Magistrale, die sich auf der slowakischen Seite auf halber Höhe um die Berge schlängelt.
Touristische Infos Hohe Tatra
Anreise
Die Auto-Anreise erfolgt von Norddeutschland über die polnische Seite und von Süddeutschland über die slowakische Seite. In Polen sind Krakau und Zakopane die Anreisestationen, in der Slowakei Bratislava und Žilina. Zakopane ist per Bahn erreichbar und wird von Flixbus von Berlin aus angefahren. Auf der slowakischen Seite ist die Stadt Poprad der nächstgelegene per Bahn, Bus oder Flug erreichbare Ausgangspunkt. Von Poprad aus wiederum sind viele Ausgangspunkte von Touren mit der Schmalspurbahn TEŽ erreichbar. Sie fährt von Poprad an den Fuß der Berge und dort entlang bis nach Štrbské Pleso. führt, wobei Štrbské Pleso auch direkt per Zahnradbahn vom Bahnhof Štrba (dort z.B. Schnellzüge von Prag) erreicht werden kann.
Unterwegs vor Ort
Die Verkehrserschließung ist besonders an der slowakischen Südseite sehr gut, ohne die Natur und das Landschaftsbild allzu sehr zu beeinträchtigen. Die Bergbahnen konzentrieren sich punktuell, dazwischen ist viel ursprüngliche, nur durch Wanderwege und die strategisch günstig gelegenen Hütten erschlossene Natur.
Auf der polnischen Seite ist das quirlige Städtchen Zakopane das einzige touristische Zentrum und der Ausgangspunkt fast aller Aktivitäten in der Tatra.
Die Grenzübergänge zwischen Polen und der Slowakei sind ohne Kontrollen und Probleme passierbar.
Übernachtung
Die bekanntesten Talorte auf slowakischer Seite sind Štrbské Pleso im Westen und Starý Smokovec sowie Tatranska Lomnicka weiter östlich. Alle liegen direkt am Fuß der Berge und letztere Beide sind Kurorte mit mondänen Grand Hotels aus der Wendezeit vom 19. zum 20. Jahrhundert. Aber auch für kleine und mittlere Reisebudgets bieten die Orte genügend Unterkünfte.
Einkaufsmöglichkeiten, Gastronomie und (Wohnmobil)Campingplätze sind ebenfalls reichlich vorhanden. Kleineren Ortschaften an den Ost- und Westseiten sowie das Örtchen Tatranska Javorina auf der slowakischen Nordseite bieten ebenfalls sehr schöne Landschaft, aber weniger Infrastruktur.
In den meisten Tälern finden sich auf halber Höhe oder unterhalb der Gipfelkämme Hütten, die etwa 40 Euro pro Nacht kosten und am besten frühzeitig gebucht werden, da die Schlafplätze knapp sind. Hier lohnt sich einmal mehr die Mitgliedschaft im Alpenverein, denn gegen Vorlage des Ausweises halbiert sich der Preis (es gilt Gegenrecht). Auf der polnischen Seite liegen die meisten Hütten idyllisch in der Waldregion und sind eher rustikale kleine Berghotels. Die höchste Hütte dort ist die Leopold Świerz Hütte auf 1670 m im Tal der fünf polnischen Seen.
Karten
Eine gute Abdeckung und ausreichende Genauigkeit für alle hier vorgeschlagenen Wanderungen bietet die Kompass Wanderkarte Hohe Tatra im Maßstab 1:25.000. Wer zusätzlich die deutlich ruhigere westliche Tatra erkunden will, greift auf die ebenfalls von Kompass herausgegebene 1:50.000er Karte Hohe Tatra West zurück. Auch in den Geschäften vor Ort erhält man problemlos gutes Kartenmaterial.
Weitere touristische Infos und Stichworte für die eigene Detailrecherche gibt es in diesem kleinen Online-Reiseführer auf Wikivoyage.