Der Anstieg ist steil – sehr steil sogar. Meine Füße rutschen im nassen Laub bei jedem Schritt gefühlt zwei Meter zurück. Die Oberschenkel brennen, der Puls eindeutig zu hoch für den zweiten Anstieg im Rennen. Ich bleibe kurz stehen und schaue zurück ins Tal. Mit schnellen Schritten kommt Denise Zimmermann, eine der weltweit besten Damen im Ultra-Trail, auf mich zu. In den Händen hält sie das, was ich mir gerade sehnlichst wünsche: ein paar Trailrunningstöcke! Leichtfüßig überholt sie mich und ich marschiere weiter bergauf, mich selbst verfluchend, weil ich gefühlt als einziger im ganzen Rennen keine Stöcke dabeihabe.
Meine Vorurteile gegenüber Trailrunningstöcken
Das waren meine Gedanken als ich angefangen habe in den Bergen zu laufen. Ich war strikt gegen den Einsatz von Stöcken. Meiner Meinung nach ergaben sich daraus nur Nachteile, die mich daran hinderten, möglichst effektiv den Berg hoch- und herunter zu kommen. Meine Gedanken zu Stöcken waren unter anderem folgende:
- Der Einsatz von Stöcken kostet mich mehr mentale Energie, weil ich mich darauf konzentrieren muss, wo auf dem Trail ich sie platziere.
- Sie nerven mich, weil ich sie dauernd in den Händen halten muss.
- Durch andauernden Einsatz der Stöcke bekomme ich Blasen an den Händen.
- Stöcke sind was für Leute, die nicht bergauf gehen können.
- Mehr Gewicht im Laufrucksack, wenn ich sie nicht benutze.
- Vor dem Downhill muss ich sie zusammenfalten und im Laufrucksack verstauen, das kostet Zeit.
- Meine Arme und der Rücken ermüden zusätzlich durchs bergauf gehen mit den Stöcken.
- Sicherheitsrisiko bei einem Sturz.
Die Erleuchtung des Stockverweigerers
Wie ich heute darüber denke? Stöcke sind auf jeden Fall für Profis genauso wertvoll wie für den Anfänger. Selbst erfolgreiche Läufer wie Kilian Jornet, Emelie Forsberg oder Luis Alberto Hernando verwenden bei längeren bzw. sehr steilen und technischen Rennen wie dem Ice Trail Tarentaise oder Hardrock 100 Stöcke zum bergauf gehen. Ich selbst habe dieses Jahr bei zwei meiner fünf Ultra-Trail Wettkämpfe Stöcke benutzt. Die Strecken hatten jeweils 5000 und 7000 Höhenmeter und ich war beide Male froh, nicht wieder nach vorne gebeugt den Berg hochkeuchen zu müssen. Auch für die oben erwähnten Nachteile gibt es einfache und simple Lösungen:
- Durch den richtigen Einsatz der Trailrunningstöcke kann ich mehr Energie sparen als mich die zusätzliche Konzentration kostet.
- Radhandschuhe oder andere dünne Handschuhe schützen gegen Blasenbildung.
- Das Mehrgewicht relativiert sich mit der Energieersparnis.
- Ich kann meine Stöcke bereits auf den letzten Metern des Anstiegs zusammenlegen und im Rucksack verstauen, so verliere ich keine Zeit.
- Durch regelmäßiges Training mit Stöcken werden auch die Arme und der Rücken trainiert.
- Wenn ich meine Hände richtig in die Schlaufen lege ist das Sicherheitsrisiko sehr gering.
Heutzutage möchte ich die Stöcke bei langen, technischen Anstiegen nicht mehr missen. Daher erkenne ich heutzutage besonders diese Vorteile:
- Durch den Stockeinsatz kann ich bergauf aufrechter und damit „natürlicher“ gehen.
- Der Rücken wird durchs aufrechtere gehen zusätzlich entlastet.
- Die Oberschenkel und Wadenmuskulatur wird nicht so stark beansprucht.
- Verbesserte Balance in rutschigem, steilem Gelände.
- Durch weniger Anstrengung auf Dauer des Rennens gesehen energiesparender.
- Gleichmäßigerer, natürlicher Rhythmus durch Einsatz von Stöcken in laufbaren Anstiegen und im Flachen.
Die richtige Stocktechnik
Idealerweise sollten die Hände immer von unten in die Schlaufen gelegt werden, um eine optimale Kraftübertragung auf den Griff zu erzielen. Lediglich wenn es bergab geht, sollten die Hände sicherheitshalber nicht in den Schlaufen sein, um bei einem Sturz keine Verletzungen zu riskieren.
In flachem oder leicht ansteigendem Gelände ist der diagonale Stockeinsatz am effektivsten. Genau wie beim Nordic Walking oder der klassischen Langlauftechnik werden die beiden Stöcke jeweils abwechselnd eingesetzt. Das bedeutet: linker Fuß, rechter Stock; rechter Fuß, linker Stock.
Wenn es steiler bergauf geht, ist der Doppelstockeinsatz die Methode der Wahl. Indem beide Stöcke gleichzeitig parallel vor dem Körper aufgesetzt werden, kann man sich sehr gut „nach oben schieben“. Durch diese Technik werden die Beine entlastet und besonders bei langen Anstiegen beim Trailrunning kann man viel Energie sparen.
Bei steilen Querungen an Hängen kann einer der beiden Stöcke etwas unterhalb gegriffen werden, um für die nötige Balance zu sorgen.
Mein Fazit zum Stockeinsatz beim Trailrunning
Ich persönlich benutze meine Stöcke ausschließlich zum bergauf laufen. Bevor es hinab geht, befestige ich sie an meinem Laufrucksack. Meiner Meinung nach hat der Einsatz von Stöcken im Downhill keine nennenswerten Vorteile. Außer das Gelände ist sehr technisch oder rutschig, z.B. auf Eis oder in steilen, ausgesetzten Schneepassagen. Du kannst sehr viel mehr Energie sparen und zudem schneller bergab laufen, wenn du an deiner Technik fürs Bergablaufen arbeitest. Wie das geht, erkläre ich dir in meinem nächsten Beitrag.
2 Comments on the Article
Hi Flo, Danke für den sehr interessanten Artikel. Da ich mir auch Trailrunning-Stocke zulegen will, hätte ich noch folgende Fragen : - Welche/s Modell/e kannst du empfehlen? - Die Gretchen-Frage - Carbon oder Alu? Ausschließlich auf Stabilität bezogen, insbesondere wenn einmal eine Querbelastung auf den Stock kommt? (Gewicht und Preisargumente sind ja logisch) Danke!!! Dominik