Die im Führer angegebene Gehzeit unterschreiten – um vieles. An einer langen Schlange von aufsteigenden Wanderern oder Skitourengehern im schnellen, aber gleichmäßigen Rhythmus vorbeiziehen. Stehend abfahren im Geröll mit langen Schlittschuhschritten, während sich daneben eine Gruppe langsam und vorsichtig über den steilen Schotterweg hinabmüht. Der beeindruckende Zeitunterschied vom ersten mühsamen Aufstieg ins Hochlager an einem hohen Berg bis zum raschen Aufstieg mit guter Akklimatisation dank häufiger Auf- und Abstiege mit Gepäcklast. Im spielerischen Wettlauf gegen die Seilgefährten von einem Block zum anderen springen und die beste und schnellste Abstiegsroute finden durch die chaotisch ineinander verkeilten Granitblöcke …
Es gibt viele Arten des schnellen Unterwegsseins in den Bergen, bei denen man viel Spaß haben kann, ohne direkt an Bergläufen, Ultra Trails oder Skitouren-Rennen teilzunehmen.
Geschwindigkeit als Sicherheitsaspekt
Schnell in den Bergen unterwegs zu sein macht viel Spaß, vor allem, wenn man top trainiert ist und noch keine Knieprobleme kennt. Man fühlt sich stark, bei schnellem Klettern im Fels oder bei technisch schwierigen Abstiegen in Rekordzeit sieht man sich fast schon als Artist und freut sich über seine Leistungsfähigkeit. Darauf darf man stolz sein.
Vor allem wenn man sich zusätzlich die Aufgabe stellt, im steilen Geröll beim raschen Auf- oder Abstieg keinen einzigen Stein loszutreten. Schnelle Auf- und Abstiege stehen für gutes Training, viel Erfahrung und jenes wunderbare Gefühl von Leichtigkeit am Berg, das einen manchmal fast besoffen machen kann vor Glück. Der Fachbegriff dafür heißt Flow.
Dies umso mehr, weil wirklich jeder die schlechten und zähen Tage am Berg kennt, wenn man sich – mangels Training, mangels Akklimatisation, wegen einer nicht auskurierten Erkältung, wegen Stress im Beruf oder was auch immer – „auffi quälen“ muss. Wenn nichts vorangeht, wenn man erstmals an einer Route abschmiert, die man schon x-mal vorgestiegen ist oder wenn man auf einer Skitour heftig keuchend in den Stöcken hängt, obwohl man langsam aufgestiegen und noch nicht lange unterwegs ist. Oder wenn man bei einer ganz normalen Wanderung mit knallroter Birne hinterher hechelt. Dann, ja dann, hat man wirklich keinen guten Tag erwischt!
Hinzu kommt, dass Zeit ein wichtiger Sicherheitsfaktor in den Bergen ist. Die Gehzeit spielt eine wesentliche Rolle bei allen Aktivitäten am Berg. Zum einen bietet die Gehzeitangabe im Führer eine wichtige Information zur persönlichen Tourenplanung daheim. Zum anderen ist sie ein Indiz für die eigene Leistungsfähigkeit und darüber, was man sich zutrauen darf oder nicht.
Für die Tourenplanung ist allerdings immer die aktuelle oder durchschnittliche Leistungsfähigkeit des Langsamsten der Gruppe ausschlaggebend – und nicht die eigene Bestleistung.
Das Einhalten der angegebenen Gehzeit und der eigenen Zeitplanung mit Puffer ist wichtig – vor allem im Hochgebirge. Nachmittags sind die Gletscher, Eiswände oder Mixed-Routen bei intensiver Sonneneinstrahlung wesentlich gefährlicher als frühmorgens, wenn Schnee und Eis noch beinhart gefroren sind.
Gewitter kommen wesentlich häufiger am Nachmittag vor, als am frühen Morgen. Und ein Abstieg im Dunkeln mit Stirnlampe macht weniger Spaß als bei Tageslicht. Wenn der nächtliche Abstieg dann trotz Stirnlampe zu schwierig oder schwer zu finden ist, dann muss man ungeplant biwakieren. Das kann trotz Biwaksack – je nach Witterungsverhältnissen und Exposition – ziemlich unangenehm werden.
Schnelligkeit am Berg ist also normalerweise ein Plus an Sicherheit. Sie kann aber auch lebensgefährlich werden, beispielsweise wenn man sich als Normalbergsteiger für die Akklimatisation an einem höheren Berg nicht genügend Zeit nimmt. Oder wenn das Tempomachen unterwegs auf Kosten der Trittsicherheit geht und derjenige abstürzt. Oder wenn im direkten Wettrennen zweier gestresster Bergsteiger der eine nicht mehr mithalten kann, stürzt oder kollabiert.
Speed-Bergsteigen
Schnelligkeit ist zudem ein leicht nachvollziehbarer Gradmesser, mit dem man die eigene Leistung besser verdeutlichen kann. Speed-Besteigungen von berühmten Bergen oder Wänden sind und waren daher schon immer in: Top-Athleten demonstrierten so auf berühmten Routen oder an hohen Bergen im Himalaya ihre sonst oft kaum mehr vermittelbare Überlegenheit gegenüber anderen Bergsteigern. Es sind die Superlative, die die Menschen interessieren. Ob Kilian Jornet am Everest, Kilimandscharo oder beim Ultra Trail du Mont Blanc, die Huber-Buam mit ihren herausragenden Speedbegehungen im Yosemite – immer geht und ging es um Rekordzeiten.
Die Eiger-Nordwand als Maßstab
Wenn einer wie der Schweizer Ueli Steck den Geschwindigkeitsrekord auf der klassischen Heckmair-Route in der Eiger Nordwand pulverisierte, dann verstand auch die breite Öffentlichkeit, was die modernen Profis heutzutage leisten können. Den Mythos der 1800 m langen Eiger Nordwand und die Geschichte(n) und Tragödien um ihre Erstbesteigung, kennen sehr viele Nichtbergsteiger.
Schwerer Riss, Hinterstoißer-Quergang, Todesbiwak, Götterquergang, Spinne, Ausstiegsrisse – das sind Begriffe, die auch Nichtbergsteigern vertraut sind, wenn sie sich für die Berge interessieren. Zwar müssten diese auch wissen, dass die Ausrüstung inzwischen viel leichter und wesentlich besser geworden ist als früher und es stark auf die Verhältnisse in der Wand ankommt. Dennoch ist der unfaire Vergleich viel beeindruckender, wenn man weiß, dass die Erstbegeher 1938 für die Route zwei Biwaks, (Anderl Heckmair, Ludwig Vörg), also drei lange Tage, und die andere Seilschaft drei Biwaks, also insgesamt vier Tage zur Routenfindung und Begehung der Route im vereisten V. Grad brauchten.
Das langsamere österreichische Team aus Fritz Kasparek und Heinrich Harrer hatte bereits einmal biwakiert, bevor sich alle vier zu einer Seilschaft zusammenschlossen. Wegen der vielen Quergänge beträgt die reale Kletterstrecke der Heckmair Route rund vier Kilometer im oft vereisten brüchigen Fels und den Eisfeldern.
Reinhold Messner und Peter Habeler zeigten bereits 1974 ihre Klasse und durchstiegen die lange berühmte Nordwand in knapp zehn Stunden. Thomas Bubendorfer und Reinhard Patscheider schafften es 1983 jeweils allein in unter fünf Stunden und 2003 brauchte der Südtiroler Bergführer Christoph Hainz im Alleingang nur noch 4,5 Stunden. Und dann kam Ueli Steck: Bereits im Alter von 18 Jahren stieg Ueli Steck zum ersten Mal durch die Eiger Nordwand und entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem der besten und schnellsten Bergsteiger der Welt.
Ab 2007 jagten Ueli Steck und sein Freund, der Extrembergsteiger Dani Arnold, einander als Alleingeher jeweils den Durchsteigungsrekord ab. Für die beiden war die Heckmair-Route eher eine Joggingtour an ihrem Hausberg als eine heikle Kletterei wie Steck einmal in einem Interview sagte.
Ende 2015 rannte Ueli Steck, der am 30. April 2017 bei einer Akklimatisationstour am Lhotse tödlich verunglückte, in 2 Stunden 22 Minuten durch die Wand und holte sich seinen Rekord wieder zurück. Am Beispiel der Begehungszeiten der Heckmair Route versteht jeder, was damit verdeutlicht und erklärt werden soll. Die Route Young Spider in der Nordwand (1800 Hm bis zu 7a/A2 im Fels, WI 6 im Eis und M7 im Kombi-Gelände), die Ueli Steck an fünf eisigen Tagen in der Wand als zweite Begehung überhaupt und als Winter-Soloerstbegehung gelungen war, dürften nur extreme Alpinisten kennen oder Spezialisten, die sich zumindest vorstellen können was diese Schwierigkeitsbewertungen „in natura“ bedeuten. Die breite Öffentlichkeit kann mit solchen Beschreibungen der Schwierigkeitsgrade nichts anfangen.
Wer als normaler Kletterer oder Bergsteiger ohne das immense Trainingspensum und die Erfahrung eines Profibergsteigers „light and fast“ und womöglich als Solokletterer im Absturzgelände unterwegs sein will, der muss schon wissen, was er tut und sich darüber im Klaren sein, dass selbst Profis abrutschen können. Schnell unterwegs zu sein macht mächtig Spaß, kann aber auch zur Droge werden. Man muss selbst das richtige Maß finden und viel trainieren.