Der Poncione d’Alnasca zieht die Blicke auf sich, seine knapp 500 Meter hohe Südwand gilt als eindrücklichste Wand der Tessiner Alpen. Ein Spielplatz der Extraklasse für Kletterer wie auch für Basejumper.
Tag eins – Anreise
Die Techno-Route Himmelsfinger (6+ A3, 460 m) stand schon länger auf dem Plan, Mitte Mai 2022 bot sich endlich die Gelegenheit für einen Versuch. Gemeinsam mit Michaela machte ich mich am 13.05. vom Val Verzasca auf den Weg zum traumhaft schön gelegenen Bivacco Scorpion.
Am Nachmittag brachten wir noch einen Teil unserer Ausrüstung zum Einstieg. Anders als sonst hatten wir ziemlich viel Zeug dabei: volles Bigwall-Material inkl. Portaledge und Fly, dem Zeltdach. Die Wetterlage war alles andere als stabil, aber mit dem Portaledge hatten wir die Möglichkeit, ein Unwetter in der Wand auszusitzen.
Tag zwei – Wetterkapriolen und ein straffer Zeitplan
Gegen 4:00 Uhr morgens zog das erste Gewitter durch. Danach stiegen wir zur Wand zu und machten uns an die Arbeit. Die Route Himmelsfinger wird immer wieder einmal durchstiegen, meist in drei bis vier Klettertagen. Wir planten mit nur eineinhalb Tagen in der Wand, denn mehr gab der Zeitplan nicht her. Zu optimistisch?
Zwei Drittel der Wand waren geschafft, als sich am Abend das nächste Unwetter näherte. Wir seilten ab bis unters große Dach der 8. Seillänge, wo wir unser Portaledge an einem geschützten Platz aufbauen konnten.
„Wie kann man nur schlafen in einer solchen Wand?“, werden wir immer wieder gefragt. Es ist wirklich der einfachste Teil des Ganzen. Und bald war auch vergessen, dass wir an einen etwas dubiosen 8-mm-Bolt hingen…
Tag drei – saugende Tiefe, müde Beine
Mit dem ersten Licht des Tages verließen wir unseren Biwakplatz und stiegen an unserem fixierten Seil auf. Nun waren es nur noch vier Seillängen bis zum Ausstieg der Route an der Südwestkante des Berges, aber die hatten es in sich: so exponiert und so weit entfernt vom letzten Fixpunkt wie in der zehnte Seillänge hängt man selten in der Wand!
Gegen Mittag erreichten wir schließlich den 2301 m hohen Gipfel. Es folgte ein langer Abstieg zurück ins Val Verzasca, 1600 Höhenmeter, mit viel zu schweren Haulbags und etwas schwachen Beinen.
Fazit
Eine außergewöhnliche, sehr eindrückliche Route, die einen packt und so schnell nicht loslässt. Die moderate Bewertung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es einige gefährliche Passagen gibt. Wer hier einsteigt, sollte grob einschätzen können, worauf er sich einlässt!
Infos zur Route
Topo- und Routeninfos gibt es direkt von den Erstbegehern Lars Hofer und Urs Waldispühl.
Die Route wird auch in verschiedenen Kletterführern beschrieben, allerdings wurden in den Führern, die ich gesehen habe, einige Informationen falsch übernommen.
Anders als dort dargestellt, ist es beispielsweise nicht möglich vom Ausstieg der Route über diese abzuseilen! Vom 9. Standplatz kommt man noch über die Route runter, danach nicht mehr. Ein Abseilen über die Route „Leap of Faith“ sollte aber möglich sein (die Routen kreuzen sich in der 10. SL).
Wir haben alles Material mit zum Gipfel genommen, so dass wir über den Normalweg (Wanderweg) nach Alnasca absteigen konnten. Von dort kommt man mit dem Bus zurück zum Ausgangspunkt. Mitte Mai hatten wir nordseitig noch etwas Schneekontakt – man sollte diese Abstiegsvariante also nicht zu früh im Jahr wählen.
Die wichtigste Hardware:
- 2 x BD Talon + 2 große Hooks
- 2 Sätze Cams bis BD #2, #0.3–0.5 dreifach
- 1 x Cam #3 u. #4, #5 braucht man nicht zwingend
- Ballnuts Gr. 2–4
- 1 Satz Rocks und ein paar Micro Rocks
- eine Auswahl der gängigen Hakentypen
- ein paar Beaks (mittel und groß) sowie einen kleinen und mittleren „Baby Angle“