„Ein Alpinist braucht keine Haken, sondern Nerven aus Stahl“, ruft Bergfreundin Klara ihrem Kumpel Arthur zu, als diese gerade im wilden Aladağlar Gebirge zum Klettern unterwegs sind. Die zwei haben sich das eher unbekannte Klettergebiet aufgrund einer Felsnadel rausgesucht, welche sie auf einem Bild entdeckt haben.
Von ihrem Kletterabenteuer inklusive einer Bekanntschaft mit Wölfen berichten sie Euch selbst in ihrem Kletterbericht: Türkisch für Fortgeschrittene.
Wenn Kommunikation immer so einfach wäre! Ohne der türkischen Sprache mächtig zu sein, „unterhalten“ wir uns schon eine ganze Weile mit unserem Zeltnachbarn Hüseyin, dem alten Schafhirten. Besser gesagt, er unterhält uns. Die braungebrannten, rauen Hände umschließen fest seine Kehle während er theatralisch Würgegeräusche dazu macht. „Köpek…kurt…uuurrrrggg!“ Was erzählt er da bloß?! Das Wörterbuch klärt es auf: koyun (Schaf), köpek (Hund) und kurt (Wolf). Einer seiner Hunde hat unweit vom Lager einen Wolf getötet und seine rund 300 Schafe erfolgreich verteidigt. Noch ein paar Mal zeigt er stolz, wie es um den Wolf geschah und lacht, bevor er aus voller Kehle ein türkisches Volkslied anstimmt. Eine Melodie wie aus Tausendundeiner Nacht, von Freiheit und Glück des einfachen Lebens in den Bergen vielleicht.
Wie die Maden im Speck
Ich bin auf Erkundungsreise im Zentrum der Türkei. Mit dem Bild einer wunderschönen Felsnadel hatte mich Kletterkumpel Arthur geködert. Klettern im wilden Aladağlar Gebirge, dem höchsten Massiv des Zentraltaurus mit der größten Dichte an 3000ern. Der Nationalpark bietet neben einem erstklassigen Sportklettergebiet auch alpine Mehrseillängenrouten, keinen Tagesmarsch vom Eingang entfernt. Zudem ist Gebiet für Kletterer weitestgehend unbekannt und somit schön ruhig. Wie könnte ich mir diese Gelegenheit entgehen lassen?!
Eine staubige Straße durchzieht in Schlangenlinien die karge Ebene, dahinter erheben sich strahlende Kalkwände mit weiß überzuckerten Gipfeln. Endlich sind wir im Kazıklı Tal vor den Toren des Aladağlar Gebirges angekommen. Unser kleines Lager errichten wir am oberen Ende des Tals, unweit der Schaftränke und einzigen Wasserquelle. Einen kurzen Fußmarsch entfernt warten in der Schlucht 20 Sektoren mit über 400 gut eingerichteten Sportkletterrouten. Kurz gesagt sitzen wir hier wie die „Maden im Speck“. Der oberste Sektor „Babyface“ ist wie gemacht zum Warmklettern. Der geneigte Block mit rauen Reibungsplatten bietet wunderbare, leichte Gleichgewichtsprobleme. Im benachbarten Sektor „Sister Cooking“ ist schon etwas mehr Bizeps und Ausdauer gefragt. Als persönlicher Lieblingssektor entpuppt sich aber bald „Carnival“ im unteren Bereich der Schlucht. An großen Löchern die leicht überhängende Wand hinauf zu hangeln ist einfach traumhaft. Gleich neben an geht es im Sektor „Dergah“ genauso lohnend weiter. Auf 35 Metern Länge wechselt die Wand von überhängenden Henkeln zu steilen Leisten in eine abschließende Reibungsplatte. Ein geniales Sportklettergebiet und für uns die beste Vorbereitung.
Abwarten und Tee trinken
Unsere Fitness passt nach wenigen Tagen, nur mit dem Wetter für alpine Unternehmungen will es einfach nicht klappen. Eine Kaltfront jagt die nächste. Fast täglich kreisen furchteinflößende Gewitter über dem Hochgebirge und die Gipfel sind immer wieder voller Neuschnee. Heute ist wieder ein besonders ungemütlicher Tag – kalt, windig, regnerisch. Hüseyin ist zu Besuch, auch er ist offensichtlich froh um Gesellschaft in diesem einsamen Tal. Inzwischen hat ein reger Austausch von Gefälligkeiten seinen Lauf genommen, wir möchten uns den „Meister“ der benachbarten Kangals wohlgesonnen stimmen. Dank meiner halbwegs gut sortierten Reiseapotheke habe ich den Status einer „Medizinfrau“ und versorge Hüseyin mit Salben und Aspirin-Tabletten. Er hingegen bringt uns Feuerholz und erzählt lustige Geschichten. Lustig vor allem, weil die Konversation mehr ein Gestikulieren mit Händen und Füßen ist. So schön die Zeit hier unten auch ist, mein Haulbag mit der alpinen Ausrüstung liegt schon viel zu lange einen Tagesmarsch weit entfernt im Nationalpark, gut verstaut unter meiner Traumwand – der wunderschönen Felsnadel Parmakkaya. Ob wir überhaupt Hand anlegen werden?
(M)ein Herz für Hunde
Für Adrenalin sorgen derweil nicht nur die Kletterrouten. Zu Fuß unterwegs steht 200 Meter entfernt mitten auf der Straße plötzlich ein Kangal. Diese speziellen Hirtenhunde sehen aus wie leicht überdimensionierte Schafe mit einem gewaltigen Gebiss. Um den Hals tragen sie martialische Halsbänder mit langen Eisenstacheln, die sie vor dem tödlichen Kehlenbiss der Wölfe schützen. So eine unbesiegbare Verteidigungsmaschine versperrt uns jetzt den Weg. Nach dem Motto, „ich muss nicht schneller laufen als der Hund, nur schneller als Du“ beginnt Arthur den Rückzug. Ich hingegen schreite vorwärts, dieser Hund kann doch keine öffentliche Straße bewachen. „Yes, he can.“ Aggressiv die Zähne fletschend macht er mir deutlich, dass ich zu weit gegangen bin. Mit weit aufgerissenem Maul rast er auf mich zu, während ich versuche rückwärts sein Revier zu verlassen. Die wütende Kampfmaschine kommt immer näher. Verzweifelt schreie ich um Hilfe – doch der Besitzer ist nirgends. Einen Meter vor mir bleibt der wütende Angreifer stehen und terrorisiert mich, scheinbar nur um seine Macht zu demonstrieren. Irgendwann lässt er von mir ab. Das Adrenalin steckt mir genauso tief in den Knochen wie die Todesangst. Vielleicht hätte sich die Investition in ein Mietauto doch gelohnt…
Besuch von Kurt
Der Wetterbericht in der Zeitung verspricht zwei stabile Tage, wenigstens für einen Kletterversuch könnte es reichen. Durch das Emli Tal erreichen wir bald die große, mit Blumen übersäte Hochebene. Der Blick fällt unweigerlich in das Hochtal im Süden, wo die 300 Meter hohe Felsnadel Parmakkaya mitten aus der zerklüfteten Bergflanke in den Himmel ragt. Steil und unnahbar wie eine Festung, eine alpine Herausforderung in völliger Abgeschiedenheit. Die Route „Orient“ an ihrer Ostseite ist mein Favorit – ein dünner, roter Strich auf dem verpixelten Wandfoto meiner Kopie. Die Felsnadel ist faszinierend und furchteinflößend zugleich. Vor allem weil mir gerade jetzt ein kleiner Nebensatz aus dem Führer durch den Kopf geistert: „nerve wrecking bolt distances“ (nervenaufreibende Hakenabstände) heißt es da. Die Nacht bietet noch genügend Zeit, um darüber nachzudenken. Der Vollmond strahlt vom Himmel, es ist fast taghell und die Gedanken kreisen um die bevorstehende „Prüfung“. Da kommt plötzlich auch noch „Kurt“ ins Spiel – erst einer, dann zwei, dann drei. Das gruselige Heulen der Wölfe schallt über die einsame Hochebene während es uns kalt den Nacken herunter läuft. Wo sind die Kangals, wenn man sie einmal bräuchte?!
Von Null auf Vollgas
Der Tagesanbruch kommt wie ein Segen. In der kühlen Morgenluft steigen wir durch die Felslandschaft in Richtung Parmakkaya, jeder für sich mit seinen Zweifeln und Fragen. Wird das Wetter halten? Wie groß sind die Hakenabstände? Werden wir ohne richtiges Topo die Linie finden? Wie wird sich Sportkletterer Arthur im alpinen Gelände schlagen? Oft entscheidet der erste Felskontakt über Sieg oder Niederlage, hier ist es Liebe auf den ersten Griff. So einen strukturreichen, traumhaft rauen Kalk hatte ich selten in den Händen. Die Finger kommen mit winzigen Leisten aus, denn selbst auf kleinsten Unebenheiten stehen die Füße wie festgenagelt. Instinktiv folgen Hände und Füße den Strukturen, natürliche Schwächen der Wand verschlingen an den nötigen Stellen hungrig meine Totem Cams. Die Bewegungen fließen und mich packt ein unbändiger Hunger auf mehr, mehr von dieser geilen Kletterei! Arthur ist nicht ganz so euphorisch. „Keine Haken in Sicht“, beschwert er sich am Stand. „Ein Alpinist braucht keine Haken, sondern Nerven aus Stahl“, ist meine freche Antwort, für die ich bis auf Weiteres den Vorstieg „ernte“.
Oben bist du nie
Ein Vierer Camalot verschwindet gerade in einer Spalte, da fällt mir erst der Haken links an der Kante ins Auge. Die Linie fordert selbstverantwortliches Klettern, an den wichtigen Stellen sind aber immer gute Sicherungen. Mein Loblied auf die Tour hat erst eine Pause, als mir in der Schlüsselseillänge die Knie weich werden. Steiles Plattengelände im achten Grad mit reichlich Pendelpotential, Strukturen sind hier Mangelware. An einer winzigen Leiste hängend kommt mein „Bewegungsfluss“ ins Stocken. Panik, Angst, Schockstarre. „Come on, ice-cold rock crusher“, schallt es von unten. Wo sind jetzt diese Nerven aus Stahl geblieben? Dicke Wolken ziehen über den Himmel und die Kälte kriecht langsam in die Glieder. Für Zweifel ist keine Zeit, jetzt oder nie – meine Finger krallen sich mit unerwarteter Kraft in den Fels, mein Körper vollzieht eine athletische Bewegung und plötzlich fließt es wieder. Eine tolle Verschneidungslänge bringt uns direkt unter den Gipfelvorbau, wo uns nur noch die letzte Seillänge erwartet, dafür noch einmal 7b. „Wenigstens diese Seillänge muss ich versuchen“, Arthur fühlt sich bereit für seinen ersten alpinen Vorstieg. So kurz vor dem Ziel sind die schmalsten Leisten und winzigsten Strukturen keine Hürde mehr, nicht einmal der kurze „run-out“ vor dem Stand. Wir sind oben! Beide haben wir innere Grenzen verschoben, eine echte Teamleistung hat uns den Gipfel beschert. Die Freude könnte nicht größer sein. Anstelle von Wolfsgeheul schallt nun unser Jubelgeschrei in die Weite des Aladağlar. Das glaubt uns Hüseyin nie!
Informationen
Anreise
Flug nach Adana oder Kayseri, von dort mit dem Mietauto oder Bus weiter nach Niğde und Richtung Çamardi fahren. Kurz vor Çamardi die Abzweigung nach links in Richtung Çukurbağ und anschließend rechts nach Marti nicht verpassen.
Übernachtung
Aladağlar Camping, Çukurbağ köyü.Martı mh. No:465, Çamardı, Niğde, Turkey, Tel: +90 3887112466, www.aladaglarcamping.com , Email: incerecep@yahoo.com
Material
Zum Sportklettern in der Kazıklı Ali Schlucht haben wir das 70m Master 9,7mm von Tendon und 14 Expressen von Aliens Bergsport verwendet.
Am Parmakkaya haben wir das 60m Doppelseil Master (8,5mm) von Tendon, 14 Expressen von Aliens Bergsport, Bandschlingen von Singing Rock, Kletterhelm Kappa von Singing Rock und einen Satz Totem Basic Cams sowie einen Satz Totem Cams verwendet.
Führer
„Comprehensive guide to Aladağlar“ (2nd edition, 2014), Autor Recep Ince, erhältlich bei www.kletterfuehrer.net, www.map-site.de oder direkt bei Recep Ince im Aladağlar Camping.