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Kalt abserviert – im Winter durch die Benediktenwand-Nordwand

Inhaltsverzeichnis

Die Jagdsaison ist wieder eröffnet. Ab dem kalendarischen Winteranfang am 21.12. zählt eine durchkletterte Wand offiziell als Winterbegehung. Zumindest per Definition, denn sind wir einmal ehrlich, die Winter sind nicht mehr das, was sie früher einmal waren. Wenig Schnee gab es schon hin und wieder und zweistelligen Temperaturen sind auch nichts Neues. Aber wenn früher jemand im Winter von 15 Grad gesprochen hat, meinte er den Minusbereich! Bis vor Kurzem hatte man hier im Münchner Süden eher Frühlingsgefühle. Aber bei einer Winterbegehung geht es ja auch nicht darum, Härte zu beweisen.

Über rutschige Graspolster durch die Nordwand
Über rutschige Graspolster durch die Nordwand. Foto: Georg Pollinger, www.d-on-r.de

Es geht vielmehr um das besondere Erlebnis der winterlichen Wand und darum, Erfahrungen für andere, ernstere Unternehmungen zu sammeln. Um hierzulande einen richtigen Wintertag zu erleben, muss man eben zeitweise in eine Nordwand einsteigen. Zugegeben, zunächst klang Georgs Wunsch, einmal im Winter durch die Benediktenwand-Nordwand zu klettern etwas verrückt. Aber als uns um Weihnachten herum ein lauer Wind entgegen wehte, war es gar nicht mehr so abwegig. Warum sollten wir es eigentlich nicht einmal versuchen?

Eiszeit

Es ist gerade einmal fünf Uhr morgens, da schlittern wir im Dunkeln schon durch das völlig vereiste Lainbachtal. Mit Kraft geht hier gar nichts, auf den riesigen Eisplatten bedeutet ein Schritt vorwärts immer auch einen halben Schritt zurück. Auf den ersten sechs Kilometern müssen wir hauptsächlich Strecke machen. Im Eilschritt hecheln wir die restlichen drei Kilometer durch steilen Wald zur Tutzinger Hütte hinauf, die dunkel und verlassen im Talboden der Nordwand steht.

Schnee wühlen mit bloßen Händen und Kletterschuhen
Schnee wühlen mit bloßen Händen und Kletterschuhen. Foto: Georg Pollinger, www.d-on-r.de

Obwohl es vergleichsweise wenig geschneit hat, brechen wir im Zustieg zur Wand bis zur Hüfte in den Tiefschnee. Was wir sonst in eineinhalb Stunden bewältigen hat uns heute über drei gekostet. Als wir die Wand erreichen wird es gerade hell, es kündigt sich ein herrlicher Tag mit strahlend blauem Himmel und wärmendem Sonnenschein an. Außer für uns. Wir verbringen den Tag freiwillig im Gefrierschrank der Nordwand. „Caveman“ heißt die anvisierte Linie. Aber wer weiß, wie weit wir bei diesen Bedingungen überhaupt kommen…

Quer-Fels-ein

Die erste Seillänge im fünften Grad geht noch mit Bergschuhen. Obwohl es kein wirkliches Vergnügen ist, auf diesen eisig nassen Schrägen. Die kalten Finger spüren genauso wenig von den Felsstrukturen wie die Füße – dank der klobigen Schuhe. Die alpinen Hakenabstände verwandeln selbst die leichte erste Seillänge zu einer mentalen Herausforderung. Das ist nichts für schwache Nerven. Mit Kletterschuhen spüren wir die wasserzerfressenen Strukturen der Wand etwas besser, dafür wird es auf den Graswasen weiter oben extrem rutschig.

Schon wieder eine Querung
Schon wieder eine Querung. Foto: Georg Polliniger, www.d-on-r.de

Nach drei Bohrhaken geht es ohne Sicherungen über nassen Fels und verschneite Graspolster weitere fünfzehn Meter hinauf zum Stand. Um Sicherungen zu legen quert Georg deshalb etwa fünfzehn Meter rechts zu einem Riss-System und legt mir damit ein ganz schön dickes Ei. Eine lange Querung auf rutschigem Terrain steht mir bevor. Völlig verkrampft zittere ich mich herüber, versuche die Füße so wenig wie möglich zu belasten um nicht auszurutschen.

Ein Königreich für eine ferngesteuerte Sicherung wie den E-Frog, am besten gleich als Friend! Per Knopfdruck könnte ich die Sicherung aus der Ferne lösen, stattdessen mogele ich mich wie auf Eiern irgendwie herüber und hinauf. Ein kleiner Vorgeschmack für die Schrofen weiter oben. „Bei Nässe kann es in den leichten Seillängen unangenehm und gefährlich werden – insbesondere weil dort mit mobilen Sicherungen nicht immer etwas Solides zu legen ist,“ warnt das Topo. Werden wir jetzt kalt abserviert? Aber wir wollten ja schließlich keinen Spaziergang machen.

Schwer ist leicht was?

Der Winter hat so seine Tücken, nicht nur wegen der Kälte und dem Eis. Noch dazu sind die Tage extrem kurz – zumindest wenn man das Tageslicht ins Verhältnis zu unserem Schneckentempo setzt. Aber schneller geht es nicht, denn die Tour ist eine fortwährende Aneinanderreihung von heiklen, rutschigen Kletterpassagen. Unsere Verweilzeiten an den Ständen sind für beide extrem lang, da kann man schon mal ins grübeln kommen. Was ist eigentlich schlimmer: schwere Seillängen mit eiskalten Fingern klettern oder wie auf Schmierseife über leichte, dafür verschneite Schrofen ohne Zwischensicherungen?

Benediktenwand Nordwand im Winter
Georg in der ersten Seillänge der Caveman. Foto: Georg Polliniger, www.d-on-r.de

Eine Winterbegehung gehört zu den Dingen, die man als Kletterer einmal im Leben gemacht haben sollte. Dass es auch Spaß machen muss, hat ja niemand behauptet. Da ist auch gleich wieder eine lustige Passage, die nächste Querung mündet in einem kurzen Überhang. Gerade als ich mich mit voller Kraft darüber wuchten möchte (von grazilen Bewegungen kann man ja nicht sprechen – es ist ein Wunder, dass ich im Michellin-Männchen-Look überhaupt klettern kann) packt mich ein Finger- Krampf!

Wie ein gerupftes Huhn hänge ich im Seil, die Luft ist voller Federn und Daunen. Eigentlich müssten wir jetzt richtig Gas geben, statt dessen schlage ich mich von einem Krampf zum nächsten und kämpfe mich zentimeterweise höher. Die Wand nimmt kein Ende. Über eine tief verschneite Rampe wühlen wir uns nach oben und stehen vor dem nächsten Dach.

Kreuz-Himmel-Herrgott

Benediktenwand Nordwand im Winter
Benediktenwand Nordwand im Winter. Foto: Georg Polliniger, www.d-on-r.de

Wahnsinn wie lang sich diese neun Seillängen ziehen. Die Sonne steht schon tief am Horizont, als wir endlich am Gipfel aussteigen. Erschöpft, erleichtert aber voller Emotionen. Diese Unternehmung hat meine letzten Kraftreserven gekostet, aber wir haben es geschafft! Unvergesslich waren die Einblicke in die winterliche Wand, zudem haben wir extrem viel gelernt.

Besser ansteigen, besser greifen, ordentlich sichern und vor allem in das eigene Können und den Partner vertrauen. Mit den bloßen Händen sind wir durch unsere geliebte Benediktenwand geklettert, obwohl wir vom Fels eigentlich nicht sehr viel gespürt haben. Ob ich mich so schnell wieder zu einer Winterbegehung überreden lasse, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Es sei denn, ich finde eine angenehme Weise das Frieren zu trainieren. Aber eines ist gewiss: ein echtes Abenteuer zu erleben, ist manchmal gar nicht so schwer… auch wenn es nur am persönlichen „Hausberg“ ist.

Material:

Tendon Master 7.8mm (Halbseile)
Singing Rock Onyx und Garnet, Helm Penta, Karabiner, Expressen
Totem Cams und Basic Totem Cams von Totem
Kletterschuhe Tenaya RA und Triop Tango
Meindl Litepeak GTX
LEKI Micro Vario Carbon

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Bergfreundin Klara

Ein Bergunfall brachte mich aufgrund der entwickelten Höhenangst zum Klettern und wenn ich heute an meine schönsten Momente beim Klettern denke, dann ist es die Zeit im Portaledge, hoch droben in einer Bigwall. Ich habe nicht nur meine Angst bezwungen, Klettern hilft mir immer wieder über mich hinaus zu wachsen und die Erfahrung in den Alltag zu übertragen.

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