Was reizt einen Kletterer, an Wettkämpfen teilzunehmen und vor allem, wie hält man die Fokussierung auf das Ziel aufrecht, wenn der Kopf mal nicht so will? Das und noch viele andere Fragen, habe ich Steffen Hilger, 25, gestellt. Der gebürtige Münchner klettert seit dem 14. Lebensjahr und konnte auch durch seine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann seine Leidenschaft quasi zum Beruf machen.
Neben dem Routenschrauben gibt er sein Wissen und seine Erfahrungen auch in Trainerstunden weiter und motiviert so nicht nur sich selbst sondern auch andere ihr Bestes zu geben.
Hi Steffen, danke, dass du dir Zeit genommen hast, wie geht’s dir?
Es freut mich auch heute hier zu sein, mir geht’s super! Vielen Dank!
Seit gut 7 Jahren bist du im Wettkampf aktiv und hast zahlreiche Erfolge vorzuweisen: den 1. Platz im Lead bei den Junioren bei den bayrischen Meisterschaften 2011. 2015 hast du gleich in Regensburg, Würzburg und Bad Tölz die Stadtmeisterschaften gewonnen. 2016 warst du Vize-Stadtmeister in Bad Tölz und hast auf der Climb free, einem Bouldercup, den zweiten Platz belegt genau wie bei der süddeutschen Meisterschaft 2017 in Neu-Ulm. Der Erfolg reißt also definitiv nicht ab.Was reizt dich so am Wettkampfklettern?
Ich finde das Wettkampfklettern total cool, weil man immer wieder die Leute aus dem ganzen Kletter-Zirkus trifft, die man sonst, vor allem entfernungsbedingt, nicht so oft sieht. Auf Wettkämpfen sind alle wieder da und es ist total schön, mit den Leuten zu plaudern, die man ewig nicht gesehen hat.
Auch die Aufgeregtheit vor dem Wettkampf reizt mich sehr und am Besten finde ich tatsächlich, wenn man dann zum Finale rauskommt, vor dem großen Publikum klettert und vor der tosenden Meute im Boulder oder in der Route alles geben kann. Das sind richtig starke Gefühle und Erlebnisse, die man so schnell nicht mehr vergisst.
Hast du einen Trainer, der dich gezielt darauf vorbereitet oder erarbeitest du dir alles selbst?
Früher war ich in der Jugendgruppe in der Münchner High-East Kletterhalle aktiv und hatte da einen Trainer. Seit einigen Jahren bin ich jetzt im Boulderwelt-Athletenteam und habe auch da zwei hervorragende Trainer, die mich aber eher beim Bouldern weiter bringen.
Fürs Lead Klettern (Vorstiegsklettern) habe ich im Moment keinen Trainer. Aber wenn man selbst einiges vom Training weiß oder in den letzten Jahren dazugelernt hat, dann kann man auch selbstständig daran weiterarbeiten. Die Grenzen sind meist eh nur die, die der eigene Kopf dir setzt. Wenn man da also gerade im Lead Klettern weiterarbeitet, spezifisch den Kopf trainiert, bringt das oft viel mehr als das pure körperliche Training.
Wenn du mal merkst, dass du im Training keine Fortschritte machst, was macht du dann? Wie motivierst du dich, das harte Training durchzuziehen?
Tatsächlich ist das bei mir eher selten der Fall, ich fühle mich eigentlich fast immer fit. Nur nach einer Krankheit bin ich gefühlsmäßig mal schwach, das ist ja dann auch klar. Oder eben nach einem Übertraining, wenn ich einfach viel zu viel gemacht habe.
Aber ansonsten fühle ich mich eigentlich immer fit und hab auch so viel Spaß am Klettern, dass ich immer motiviert bin mehr zu machen und mehr zu trainieren, damit ich noch besser werde. Aber das kommt von dem Spaß an sich, den mir das Training und das Klettern bereitet. Der Spaß motiviert mich!
Bist du vor oder während einem Wettkampf nervös?
Am Wettkampftag selber ist es ganz oft so, dass sich alles ganz normal anfühlt. Aber spätestens, wenn das Hinweisschild „Hier geht’s zum Kletterzentrum xy“ auftaucht, beginnt mein Herz schneller zu schlagen. Wenn ich dann die Halle vor mir sehe, werde ich immer aufgeregter. Aber das Gefühl finde ich cool!
Wenn ich dann die Halle betrete und die Routen anschaue, friert es mich immer ein wenig oder ich zittere sogar. Aber dieses Gefühl ist eben auch das Besondere daran.
Hast du Selbstzweifel oder Angst? Und wie gehst du dagegen vor, falls solche Gefühle aufkommen?
Es kommt immer drauf an, finde ich, in welchem Bereich man gerade startet. Wenn ich bei einer Stadtmeisterschaft antrete, fühle ich mich als einer von den Besten und dann denke ich mir: „Okay, die Finalroute ist jetzt da und wenn ich das nicht klettere, dann klettert die auch sonst keiner.“ Das klingt jetzt ein wenig arrogant, aber das ist eine Einstellung, die dir beim Wettkampf unglaublich weiterhilft, weil man wirklich cool an die Sache ran geht. Du gehst dann in die Route rein und fühlst dich vom ersten Griff an stark und ohne Zweifel. Auf Basis dieser Gedanken klettere ich dann auch gut und bringe eine top Leistung.
Aber es gibt auch die anderen Wettkämpfe , die eine höhere Ebene haben. Zum Beispiel der Deutschland-Cup, wo ich mich eben nicht als einer von den Besten fühle und wenn ich da im Finale stehe, denke ich mir oft: „Oh die sind ja alle viel besser“. Da sind dann Selbstzweifel dabei und auch eine gewisse Furcht vor dem, was in dieser Route auf mich zukommt oder ob ich sie überhaupt schaffe. Das ist aber leider eine ziemlich schlechte Einstellung, weil ich da auch ganz oft auch nicht die Leistung bringe, die ich bringen könnte.
Am besten ist es, einen Wettkampf folgendermaßen anzugehen. Man sagt sich „Hey, hier bin ich und das kann ich!“ Wenn man so auftritt, bringt das einem die beste Leistung. Das ganze umzudrehen ist tatsächlich ein wenig schwierig, man muss sich wirklich gut zureden und das Selbstvertrauen aufbauen und sagen: „Okay das ist die Route, die nehme ich jetzt so wie sie ist und wenn da ein Sprung drin ist oder sonst irgendwas, ist das kein Problem; ich bin hier weil ich gut bin und das kann.“ Diesen Schalter umzulegen, das ist die eigentliche Kunst.
Wenn man vor dem Finale hinter dem Vorhang sitzt, sich gerade einbindet und hört wie das Publikum jubelt, weil der vor dir die Route getoppt hat, dann steigert das natürlich die Anspannung und den Druck, vor allem wenn man in der Qualifikation schon sehr gut war.
Dann stehst du vor all den Leuten, die quasi nur auf dich warten und weil du bisher ja schon sehr gut warst, schauen sie dir mit hohen Erwartungen beim Klettern zu. Da bist du dann total aufgeregt. Doch sobald du die ersten Griffe in der Hand hast, bist du in der Route drin und plötzlich ist diese Nervosität komplett weg, du hörst keine Jubelschreie mehr, keinen Moderator. Du bist dann wie in einem Tunnel und konzentrierst dich nur auf den nächsten Griff. Das ist ein wahnsinnig geiles Gefühl und wenn man das hat, dann ist man schon auf dem richtigen Weg.
Wenn man noch alles mögliche von außen hört, dann ist man nicht wirklich in dieser Route drin und dann bringst du auch nicht die Leistung, weil du an viel zu viele andere Sachen denkst. Absolut fokussiert zu bleiben und den Rest auszublenden ist ein wichtiger Aspekt im Wettkampf!
Wie sieht ein typischer Wettkampftag bei dir aus? Hast du besondere Rituale oder Glücksbringer?
Am Wettkampftag selbst schaue ich, dass ich so früh wie möglich vor Ort bin, dass ich auf jeden Fall genug Zeit habe, mir die Routen anzuschauen und mich in Ruhe ausgiebig aufwärmen kann und vor dem Einstieg in die Qualifikation auch noch eine richtige Pause habe. So kann ich mich gut vorbereiten. Zeitdruck wäre hier kontraproduktiv. Danach fachsimpelt man ein wenig mit den anderen Teilnehmern über die Routen.
Dann kommen die Qualifikationsrouten, die man im Flash klettern muss. Also entweder sieht man ein Video der Route oder sie wird vorgeklettert. Je nach Startnummer bekommt man seine Startzeit und darf dem Kletterer davor auch zusehen. Vom psychischen Aspekt her, finde ich es sehr wichtig, wie die erste Route für mich läuft. Sie bestimmt den Verlauf des ganzen Wettkampfes. Das heißt, wenn die erste Route gut funktioniert, habe ich eigentlich einen optimalen Auftakt für die zweite Route; da fühle ich mich einfach gut und gehe mit diesem positiven Gefühl in die nächste Runde hinein. Wenn die erste Route nicht so gut läuft, habe ich Zweifel und auch Druck für die nächste. Die zweite Route muss dann einfach laufen, sonst kommst du nicht weiter.
In der Quali werden die Routen zugelost, und wenn ich zuerst die bekomme, die mir mehr liegt, hilft mir das natürlich auch sehr. Nach der Quali gibt es eine längere Pause. Da esse ich dann nochmal was und schaue mir nach Möglichkeit die Final-Route an (bei Deutschland-Cups bleiben die Routen verdeckt). Danach gibt es eine Besichtigungszeit von 6 Minuten, wo sich alle die Routen gemeinsam anschauen. Schließlich wartet man in der Isolation, in der man den anderen nicht zu sehen kann. Die Route wird dann im Onsight-Modus geklettert, also ohne vorher gesehen zu haben, wie die einzelnen Bewegungen ablaufen sollen. Das ist dann die wirkliche Königsdisziplin. Nach dem Finale steht die Siegerehrung an und ganz groß geschrieben wird danach auch das Beisammensein mit den anderen Teilnehmern. War ich erfolgreich, fahre ich auch dementsprechend glücklich nach Hause.
Als Ritual kontrolliere ich meinen Knoten immer wieder, ob er auch passt. So ein Ritual gibt mir einfach Sicherheit und beruhigt mich, weil man den Ablauf schon kennt. Außerdem gibt es einen ausführlichen Partnercheck. Danach kann ich ohne Gedanken an die Stürze losklettern. Aber einen Glücksbringer in dem Sinn habe ich nicht.
Wie gehst du damit um, wenn du am Wettkampftag merkst, dass du irgendwie nicht richtig reinkommst, es nicht gut läuft?
In der Hinsicht kann ich von meinem dritten Wettkampf, der bayrischen Meisterschaft erzählen. Der war mir total wichtig und ich wollte unbedingt den bayrischen Meistertitel gewinnen. Ich war auch super in Form und die Entscheidung lief eigentlich nur zwischen meinem Konkurrenten und mir. Darauf habe ich mich super vorbereitet, sehr viel trainiert. Aber es lief überhaupt nicht. Die erste Quali-Route war zwar gut, aber die zweite habe ich vermasselt und bin deshalb nicht ins Finale gekommen. Das hat mir so richtig gestunken, ich war sauer, wütend und absolut enttäuscht.
Aber ich habe für mich als Erfahrung mitgenommen, dass ich das so in Zukunft nicht mehr machen werde, weil mich das bloß runterzieht und im Endeffekt gar nichts bringt. Es war ja trotzdem ein cooler Wettkampf, mit vielen coolen Leuten. Man sollte immer versuchen, die positiven Aspekte hervorzuheben.
Es ist nicht so wichtig, wenn ich mal nicht so gut war. Davon sollte man sich nicht runterziehen lassen.
Diese Gelassenheit ist ein Schlüssel, die dich insgesamt fröhlicher macht. Nichts desto trotz darf man seinen Ehrgeiz genauso weiter haben, auch für den nächsten Wettkampf. Man darf das Ziel schon fokussieren, aber diese gewisse Gelassenheit sollte man trotzdem haben.
Wie unterscheidet sich dein Training für den Wettkampf und für den Felsen? Sind die Anforderungen an einen Wettkampfkletterer anders als an einen Felskletterer?
Es gibt definitiv Unterschiede zwischen Fels- und Wettkampfkletterern. Beim Lead Klettern im Wettkampf ist es mehr ein Fitness-Test. Das heißt du bekommst die Route vorgesetzt und musst die ideal klettern, damit du so hoch wie möglich oder gar bis ganz nach oben kommst.
In den Wettkampfrouten bleibt normal nicht viel Zeit zum Rasten. Eine Route ist eigentlich zum Durchlaufen; also es gibt keine guten Möglichkeiten zum Schütteln. Das bedeutet folglich, dass die Route geklettert werden muss, da sonst die Kraft ausgeht. Die Routen sind nämlich von mittelschwer bis sehr schwer aufgebaut, sodass man nach oben hin irgendwann abfällt. Das heißt, je fitter du bist, desto besser stehen deine Chancen im Wettkampf.
Beim Felsklettern ist das ganz anders, da muss man nicht unbedingt schnell klettern können. Normalerweise gibt es hier immer wieder mal gute Griffe, Rastpositionen, wo man teilweise auch die Hände loslassen kann. Da ist die reine Kraftausdauer nicht unbedingt zielführend. Viel wichtiger ist da eine sehr gute Technik, ein gutes Auge, um in verschiedenen Felsarten die Griffe zu erkennen, sowie schnell zu analysieren welche Bewegungen mir weiterhelfen, auch in unübersichtlichen Situationen.
Und beim Alpinklettern, wo auch die Hakenabstände, anders als beim Sportklettern, ziemlich weit sind, da ist der Kopf nochmal wichtiger. Das Einschätzen von gefährlichen Situationen ist essentiell und dass man die objektive und subjektiven Gefahren bewusst einschätzen kann. Eine gute Selbsteinschätzung ist hier unumgänglich. Natürlich müssen Sicherungstechniken und Seilhandling in großen Wänden optimal beherrscht werden.
Wo steht der Druck mehr im Vordergrund? Hast du Sturzangst? Wenn ja, wo tritt sie häufiger auf und was tust du dagegen?
Ich hatte tatsächlich sehr lange Sturzangst. Ich bin 9er geklettert, ohne einmal reinzufallen. Das war schon krass. Aber wenn man in den 10. Grad kommt, muss man irgendwie doch mal stürzen, sodass man etwas ausprobieren kann.
An das Sturztraining hab ich mich dann langsam herangetastet. Beim Training habe ich jedes Mal eine kleine Übung gemacht: Ich bin bis zur 5. Exe geklettert und hab mich reinfallen lassen, dann weiter zu 6. Exe und hab mich wieder reinfallen lassen und immer so weiter. Also ganz kleine Stürze.
Allerdings muss man da dran bleiben. Es bringt nichts, das Training ein- oder zweimal zu machen. Wenn man es über einen längeren Zeitraum durchzieht, bringt das viel. Das muss man aber auch wirklich wollen.
Wenn ich ein Projekt am Felsen habe, das ich unbedingt durchsteigen möchte, warte ich eine gewisse Zeit, bis ich in den nächsten Versuch starten kann, damit ich wieder genug Kraft gesammelt habe. Merke ich, dass ich nervös werde, steige ich ein bevor das Gefühl noch schlimmer und mir fast schon schlecht wird. Erwischt man den Moment davor richtig, passt es meistens auch. Vor allem nicht zu verbissen zu sein ist der Schlüssel. Ein wenig Abstand zum Projekt ist immer gut, dann geht es leichter und der Flow im Klettern kommt mit der Leichtigkeit. So baut man sich auch nicht unnötig viel Druck auf.
Wettkampf oder Fels? Was liegt dir mehr und was liebst du mehr?
Das Wettkampfklettern hat auf jeden Fall seine Reize. Gerade wenn man im Finale vor Publikum klettert, sind das ganz besondere Momente. Aber tatsächlich liebe ich das Felsklettern mehr. Das gibt mir einfach mehr. Es ist facettenreicher, auch vom mentalen Anspruch her, denn man muss sich einfach trauen, weiter zu klettern.
Außerdem ist man draußen in der Natur, in einer wahnsinnigen Umgebung und dann hast du dieses besonderer Gefühl, wenn der Wind dir ins Gesicht streift, wenn du die letzten Züge kletterst, wenn du total am Limit bist und dann den Umlenker erreichst. Hinter dir geht die Sonne gerade unter und taucht die Felsen in ein rotes Licht. Das sind unglaubliche Momente. Oder wenn man eine große Felswand durchsteigt. Das sind Erlebnisse, die kriegt man in der Halle, denke ich, nicht. Also mir gibt die Natur auf jeden Fall mehr.
Und zum Schluss, beschreibe einmal deinen perfekten Klettertag!
Der sieht folgendermaßen aus: ich bin mit meinen besten Freunden oder mit der Freundin am Felsen unterwegs, wo sonst niemand ist. In einer tollen Landschaft mit genialen Tiefblicken. Dort klettern wir ein paar tolle und auch schwere Routen, die uns fordern. Wo die Linie der Route an sich so genial ist, dass man sie klettern will und wo man sich total freut, dass man das erleben und gerade hier sein darf. Und wenn dann jeder seinen Erfolg hat und die Sonne untergeht, ist das was ganz Besonderes.
Wenn es dann zum Abschluss noch ein Eis in Arco gibt und man durch die Gassen läuft und sich am Marktplatz hinsetzt um die Erlebnisse zu verarbeiten und Revue passieren zu lassen, dann passt einfach alles zusammen.
Was sind deine weiteren Ziele?
Eines meiner weiteren Ziele ist es, die schweren Grade in Mehrseillängenrouten zu übertragen. Das wär total cool, eine 8a oder den 10. Grad auf eine große Wand zu projizieren, schon im Sportkletterstil, aber eben in mehreren Seillängen. Ein anderes Ziel sind die Nordwände der Drei Zinnen in den Sextener Dolomiten, die möchte ich unbedingt klettern. Das ist ein ewiger Traum von mir, da wollte ich schon immer durchklettern und ich hoffe, dass ich das ziemlich bald realisieren kann.
Vielen Dank Steffen für das motivierende und inspirierende Gespräch!
Mehr Informationen zu Steffen Hilger findet ihr auf seiner Website: www.steffenhilger.de
2 Comments on the Article
Spannende Fragen, da kann man sich richtig gut in den Kletterer hineinversetzen! Mehr von sowas!