Kennt ihr das? Man steht auf dem Gipfel und heult wie ein Schlosshund. Nein? Ich normalerweise auch nicht. Klar, man ist angetan von der schönen Aussicht, oder froh, dass die Schinderei nun zu Ende ist, aber gleich heulen ist im Normalfall nicht drin. Nun diesen Herbst sollte es soweit sein, mein erster verheulter Gipfel! Wie es dazu kam erfahrt ihr gleich…
Vom Mythos verzaubert
Schon bevor ich überhaupt mit dem Klettern in Kontakt kam, faszinierten mich bekannte Berge und Wände. Ich war durchaus angetan von Bergen um die ein gewisser Mythos rankt. Jeden Bericht, jeden Film über solch bekannte Gipfel habe ich förmlich aufgesaugt. Es muss schon ein besonderes Gefühl sein, dort oben zu stehen, dachte ich mir.
Da die Dolomiten fast vor meiner Haustüre liegen, sind die drei Zinnen in den Sextener Dolomiten natürlich permanent im Fokus. Irgendwie kommt man als Kletterer da nicht dran vorbei. Als ich dann vor zwei Jahren dort eine Rundwanderung unternommen habe und zum ersten Mal dieses Meisterwerk der Natur live gesehen habe, war klar, dass ich da mal rauf möchte. Und dann natürlich gleich auf die Größte, was auch sonst!
Leichter gesagt als getan. Natürlich wusste ich, dass ich mit Alpinklettern so gut wie keine Erfahrung hatte und auch sonst nicht auf mörderisch lange Bergtouren gehe. Aber träumen darf man ja. Das Ziel auf einer der Zinnen zu stehen rückte ziemlich in den Hintergrund, was mir aber erstmal nichts ausmachte. Sportklettern und Bergsteigen machten in der Zwischenzeit viel Spaß und ich habe beständig trainiert, auch Berglaufen ist dieses Jahr dazugekommen. Doch ich wusste eigentlich gar nicht so recht für was ich denn trainiere. Der Spaß stand zwar im Vordergrund, aber mit einem Ziel vor Augen trainiert es sich schon um einiges effektiver.
Spontanität und Selbstzweifel
Als mein Freund dann spontan darauf kam, jetzt im Herbst mal die Zinne anzugehen, da ich das ja mal erwähnt hatte, war ich komplett überrumpelt. Bei mir stellten sich sofort eine Menge Selbstzweifel ein. Bin ich wirklich fit genug? Halte ich solange durch? Was ist wenn ich wieder mal Schiss in der Wand bekomme, wie es beim Sportklettern schon öfter passiert ist?
Eine Blockade an diesem Berg kann man sich nicht erlauben, so viel stand fest. Ich war schon kurz davor zu kneifen, aus Angst zu versagen. Gut, dass die Idee so spontan war, dass ich nicht viel Zeit zum Nachdenken hatte. Also buchten wir uns ein Zimmer am Misurinasee. Der Abend zuvor war für mich alles andere als entspannt. Wir gönnten uns zwar Pizza und Tiramisu (für die Stärkung), da man die mächtige Südwand aber sogar vom Restaurant aus sehen konnte, kehrte keine Ruhe in meinem Kopf ein. Mir graute vor dem nächsten Tag. Mir graute vor der Anstrengung und vor allem vor der Ungewissheit. „Ein feiner Alpinist bist du!“, dachte ich mir.
Fast eine Stunde vor dem Weckerklingeln konnte ich schon nicht mehr schlafen. Und das ist selten bei mir. Ich musste mich beim Frühstück dazu zwingen eine Scheibe Brot zu essen, denn die Südwand saß mir wortwörtlich im Nacken. Ich wollte einfach so schnell wie möglich los. Am Wanderparkplatz angekommen wussten wir, dass das Wetter perfekt werden sollte.
Die Täler lagen noch leicht im Dunst, doch Wolken waren nicht in Sicht. Wir waren nicht die ersten am Einstieg, eine Seilschaft mit Bergführer war schon vor uns da. Als ich den Einstieg vor mir hatte, hatte ich ein mulmiges Gefühl und war verdammt aufgeregt. Wie werde ich mich fühlen? Bleibt meine Leistung stabil? Und bin ich schnell genug? Denn wir haben uns einen festen Zeitplan überlegt.
Wenn wir nach zwei Stunden nicht eine gewisse Stelle passiert haben, kehren wir um, ohne Diskussion. Denn dann würden wir den restlichen Auf- und Abstieg nicht vor der Dunkelheit schaffen. Das erzeugte zusätzlichen Druck. In den ersten Seillängen konnte ich ein gutes Gespür für den Felsen entwickeln. Tatsächlich hatte ich vorher noch nie Dolomit in den Fingern. Meine Nervosität legte sich und mein Kopf wurde endlich ruhig. Die leichten Stellen und das Gehgelände legten wir am laufenden Seil zurück, während ich die Schlüsselstellen nachsteigen konnte. Denn ein glatter Kamin im 3. Schwierigkeitsgrad mit klobigen Bergschuhen kann schon mal ungemütlich werden.
Wer schneller klettert, hat mehr vom Gipfel
Dass wir gut in der Zeit lagen und uns nur einmal kurz verkletterten, erleichterte mich zusätzlich. Mein Traum schien nicht mehr ganz so weit entfernt. Mit fortschreitender Stunde wurde auch der Andrang in der Wand größer. Bergführer begleiteten ihre Kunden nach oben, andere seilten sich schon wieder ab. An der letzten Schlüsselstelle habe ich schon langsam gemerkt, dass meine Kräfte schwinden.
Noch nicht kritisch, aber man wird einfach langsamer. Der Bergführer hinter mir bemerkte das auch und schob mich kurzerhand von hinten über den Block. In diesem Moment war ich zwar froh über etwas Hilfe, im Nachhinein hätte ich die Stelle aber gerne selbst geklettert, ich hätte einfach nur drei Minuten länger gebraucht. Ich war so aufs Klettern fokussiert, dass mein Freund sagen musste: „Schau, da ist schon das Kreuz!“ Der Energieschub, den ich mit diesem Satz bekommen habe, beflügelte mich. Als wär ich vorher nicht schon 3 Stunden geklettert, flog ich förmlich zum Gipfel.
Und dann brachen alle Dämme. Mein Traum ist in Erfüllung gegangen! Dieser Moment und das Gefühl, das ich dort oben hatte ist schwer in Worte zu fassen. Es reichte von Erleichterung, über pures Glück, zu Dankbarkeit und Traurigkeit. Ich war traurig, dass dieser Moment, von dem ich so lange geträumt habe, nun vorbei ist. „Ein feiner Alpinist bist du!“, dachte ich mir wieder. Ob Alpinisten heulen, fragte ich mich an diesem Tag auch. Okay, vielleicht hat mich auch die Höhe etwas unzurechnungsfähig gemacht. Aber spürt man auf 3000 Metern überhaupt sowas? Auch egal, ich war einfach unendlich glücklich und lebte in diesem Moment für nichts anderes mehr, als diesen Gipfel.
Da wir so gut in der Zeit lagen, konnten wir uns eine halbe Stunde Gipfelpause gönnen. Dass der Abstieg nochmal mindestens genauso anstrengend war, nahm ich gar nicht mehr wahr. Auch die vielen Leute habe ich völlig ausgeblendet. Ich war so überwältigt von diesem Erlebnis, dass ich die ganze Welt hätte umarmen können.
Bin ich nun Alpinist oder nicht?
Manch einer mag sich sicher denken, das hat ja nichts mit Alpinismus zu tun. Ja und nein. Sicher, die große alpine Einsamkeit, die unberührte Natur und das pure Abenteuer findet man hier vielleicht nicht. Wenn ein Gipfel so bekannt und beliebt ist, dann ist eben mehr los. Trotzdem ist es eine ernst zu nehmende alpine Klettertour, bei der einiges schief gehen kann.
Und für mich als Sportkletterer, der öfter in der Halle turnt, als am Fels, war es das pure Abenteuer. Und genau dieses Gefühl, das ich am Gipfel erlebt habe, ist doch das, was vielleicht jeder Alpinist in seinem Herzen trägt. Das kann man auf der großen Zinne finden, am Everest oder einem namenlosen Grasberg. Eben auf dem Berg, in den man sich aus unerklärlichen Gründen verliebt hat.
Hard Facts
Anfahrt
Über Lienz oder Brixen nach Toblach, dann auf SS51 weiter nach Schluderbach. Von dort auf die SS48b bis zum Ortsbeginn nach Misurina. Dort gibt es viele Unterkünfte und ein paar gute Restaurants. Die Drei-Zinnen-Straße führt hoch bis zum Parkplatz am Rifugio Auronzo (mautpflichtig). Busse fahren regelmäßig von Misurina hoch zum Parkplatz.
Zustieg
Vom Parkplatz auf der Südseite dem breiten Wanderweg Richtung Rifugio Lavaredo folgen, bis ein deutlicher Steig durchs Geröll nach links führt. Dem folgt man bis man die Scharte zwischen großer und kleiner Zinne erreicht. Der Einstieg liegt fast am Ende der Scharte in einem schrägen Rampensystem. Einstiegshöhe liegt etwa auf 2580m.
Route
Über die Einstiegsrampe (UIAA 1) geht es in den Grund einer Kaminrinne (1) und dort hindurch. Wahlweise klettert man an der linken Wand (2+). Danach folgt ein pyramidenartiger Vorbau. Man verlässt die Scharte nach links ansteigend zu einer kleinen Plattform (2). Eine weitere Rinne (2) führt in die zweite Scharte. Man hält sich links an das leichte Gelände durch die breite Schlucht (1) in die dritte Scharte. Diese Scharte verlässt man leicht rechtshaltend über eine steile Wand (3). Dann folgt man den deutlichen Spuren und Steinmännchen bis zwei Gedenktafeln folgen. Eine der Rinnen wählen (maximal 2+), denn alle führen auf das Schuttband. Nach links queren bis zur Rinne, die nach oben in eine große Platte mündet. Man klettert neben der Rinne den Pfeiler (3-) hinauf. Nun folgt eine Schlüsselstelle, der glatte Kamin (3+). Er führt in eine weitere Scharte und die in eine steile Wand (3) bis zu einem Ring. Von dort steigt man ein Stück auf bis zu einem Band mit großem Block, das in einen Kessel führt (2). Den verlässt man auf das obere Ringband (Ausstieg aus der Nordwand). Man folgt dem Band nach links zu einem Steinmann und folgt den deutlichen Spuren. Eine letzte kaminartige Rinne (3-) folgt. An deren Ende hält man sich leicht rechts und quert den „bösen Block“ (3-). Gestuftes Gelände (1-) führt nun zum Gipfel auf 2999 Metern.
Zum Abseilen gibt es ein paar solide gebohrte und geklebte Haken, sodass man die Schlüsselstellen umgehen kann. Das leichte Gelände muss man abklettern.
Gehzeit
Für den Abstieg sollte man genauso viel Zeit wie für den Aufstieg einplanen. Wir haben uns die Gedenktafeln als 2 Stunden Marke festgelegt. Insgesamt sollte man etwa 7,5 Stunden einplanen. Die Wegfindung kann teilweise zu Schwierigkeiten und Zeitverlust führen, da das Gelände unübersichtlich und verwinkelt ist.
Ausrüstung
Kletterausrüstung, Helm, bequeme Schuhe!
Klemmkeile Grundsortiment
60 Meter Seil
Schwierigkeit
Schlüsselstelle 3+, einige glatte Stellen mit 3, viele 2er
Höhendifferenz
700 Höhenmeter, davon 200hm im Zustieg und 500hm Klettern
Beste Jahreszeit
Juni bis Ende September
Fun Fact
Früher war die große Zinne ein echter 3000er. Durch einen Blitzschlag wurde sie jedoch einen Kopf kürzer gemacht.