Es ist Freitagnachmittag, kurz nach 15:30 Uhr. Knapp oberhalb von Mittelberg im Kleinwalsertal, an einem kleinen Wanderparkplatz, rollen 24 Bergfreunde leicht genervt mit den Augen. Kollege Boris zieht sich gefühlt zum dritten mal um, während der Rest der Truppe ungeduldig mit den Hufen scharrt. Schließlich macht die Küche auf der Hütte auch irgendwann zu und hungrige Bergfreunde sind gemeinhin keine netten Bergfreunde.
Vor allen Dingen nicht, wenn man mit der gesamten Truppe im Matratzenlager nächtigt. Lagerkoller wäre da vorprogrammiert. Glücklicherweise bleibt uns das erspart, denn etwa dreieinhalb verschwitzte Stunden später stehen wir mit versammelter Mannschaft auf der Sonnenterrasse der Fiderepasshütte, die für die nächsten Tage unsere Heimat sein wird.
Endlich wieder da, wo wir hingehören
Nämlich mitten rein in die Berge. Erstmal stärken wir uns bei einem leckeren Abendessen (Brühe mit Grießnockerln, Braten mit Speckknödel und Sauerkraut, Germknödel mit Vanillesoße) und lauschen dabei dem Gewitter, das um uns herum tobt. Durch die Fenster sieht man die Berge immer wieder kurz aufblitzen, während die Donnerkeile durch den Himmel zucken. Faszinierend, aber auch ein bisschen beängstigend. Zum Glück sitzen wir in der gemütlichen Gaststube. Dennoch, die Laune wird dadurch nicht unbedingt aufgeheitert, denn der Wetterbericht ist nicht nur für den heutigen Abend eher unschön. Auch der Samstag soll verregnet und nass werden.
Doch noch bevor wir uns darüber zu viele Gedanken machen können, ereilt uns der Ruf der Müdigkeit und wir schlurfen langsam in Richtung Matratzenlager, das wir mit der gesamten Mannschaft belegen. Eine Hand voll Kollegen macht sich noch auf, die einzige Dusche der Hütte in Beschlag zu nehmen, bevor endgültig zur Hüttenruhe geblasen wird. Ich selbst schleiche nochmal kurz zu einer Außentür und strecke vorsichtig den Kopf raus, was sich nicht wirklich als gute Idee herausstellt. Jedenfalls kann ich mir jetzt die Dusche sparen.
Zurück im Matratzenlager erwartet meine Geruchsnerven schon der wohlig einlullende Geruch aus eingetrocknetem Schweiß und leicht müffelnden Socken. Eines steht jetzt schon fest: Willst du deine Kollegen mal richtig gut kennen lernen, verbringe ein Wochenende mit ihnen im Matratzenlager.
Katzen und Hunde
Bildlich gesprochen: Es regnet Katzen und Hunde. Es war vorhergesagt und es kam so. Die trüben Mienen beim Frühstück entsprechen der Aussicht aus dem Fenster. Eigentlich wollte heute ein großer Teil der Gruppe den Mindelheimer Klettersteig unter die Sohlen nehmen, aber so wie es da Draußen aussieht, ist das nicht unbedingt eine gute Idee.
Aber wir wären ja nicht die Bergfreunde, wenn wir nicht einen Plan hätten: Für den Nachmittag ist eine Wetterbesserung in Sicht. Also wird erstmal zur Mindelheimer Hütte gewandert und wenn es später tatsächlich aufklart, geht eben der Rückweg über den Steig.
Zurück im Lager raschelt es heftig, als alle ihre Regenbekleidung auspacken und sich ordentlich einpacken. Neben dem regnerischen Wetter machen uns auch noch die einstelligen Temperaturen zu schaffen, aber da wir ja bestens ausgerüstet sind, kann uns natürlich kein Wässerchen trüben. Und spätestens als auch die letzten müden Augepaare die Wolkenfetzen erblickt haben, die sich malerisch um die Berggipfel winden, ist die allgemeine Stimmung wieder munter.
Der Großteil der Crew macht sich also auf zur Mindelheimer Hütte. Ich hingegen schnappe mir die Kollegen, die vom Vortag noch etwas müde sind und wir machen eine etwas abgespeckte Tour über einen schönen Panoramaweg unweit des Fiderepass, auf dem uns zahlreiche schwerfällige Paarhufer erwarten und kritisch beäugen als wollten sie sagen „Wer zur Hölle wandert bei so einem miesen Wetter?“. Na, wir natürlich!
Nur zwei Stunden später sitzen wir schon wieder in der warmen Stube und vertreiben uns die Zeit mit Gesellschaftsspielen, Apfelstrudel und Heißgetränken. Erst am späten Nachmittag kommt der Rest der Truppe von der Mindelheimer Hütte zurück. Ohne Klettersteig. Das Wetter war einfach zu schlecht und unnötige Risiken müssen wir auch nicht eingehen.
Langsam füllt sich die Hütte mit immer mehr Wanderern, die dem unwirtlichen Bergwetter entfliehen. Dementsprechend gibt es eine deutliche Überbelegung am Abend und im Gastraum sitzen wir Schulter an Schulter, während am Nachbartisch eine große Gruppe aus dem Schwarzwald Schnäppschen am laufenden Band runterkippt und dabei aus voller Kehle Trinklieder anstimmt. Doch plötzlich herrscht Aufruhr. Die Personen, die am Fenster sitzen schauen ungläubig nach Draußen. Tatsächlich: Die Sonne bricht durch die Wolken. Das verheißt viel Gutes für morgen!
Nach einem weiteren leckeren Abendessen (Tomatensuppe, Gulasch mit Schupfnudeln, Topfenknödel mit Nougatfüllung) und einer guten Stunde Beschallung schmeißen wir uns nochmal in Schale, schnallen die Stirnlampen auf den Kopf und spazieren ein wenig um die Hütte. Die kalte Nachtluft und die gefüllten Mägen sorgen schnell für schläfrige Stimmung und so entschwinden die 25 Bergfreunde wieder schnell im Land der Träume.
Ein versöhnlicher Abschied
Und tatsächlich: Der Morgen beginnt deutlich freundlicher als der vorherige. Gut, viel schlechter geht auch fast nicht. Aber wir freuen uns sehr, dass wir heute zumindest ein paar Sonnenstrahlen abbekommen, auch wenn es nicht viel wärmer ist als am Vortag. Noch schnell Frühstück zwischen die Kiemen schieben, den Rucksack packen und pünktlich um 8:30 Uhr steht die Schar zum Abstieg bereit.
Allerdings verläuft dieser heute auf Umwegen. Während unsere Klettersteiger endlich doch noch den Mindelheimer gehen, entscheidet sich der Rest der Truppe für eine längere Abstiegsvariante über die Kuhgehrenspitze und die Kanzelwand. Es ist natürlich reiner Zufall, dass wir bereits nach eineinhalb Stunden erneut Halt machen und uns an der inneren Kuhgehrenalpe äußerst leckeren Kuchen schmecken lassen. Und die Aussicht ist auch nicht von schlechten Eltern.
Trotz des guten Wetters und des angenehmen Tempos wird die Stimmung in der Gruppe mit der Zeit etwas trüber und es liegt wieder einmal an mir, den Entertainer zu spielen. Also packe ich meine besten Witze aus und entlocke den müden Gesichtern wieder das ein oder andere Lächeln – ob aus Resignation oder tatsächlicher Freude über den Witz ist ja nun egal. Aber bei Knallern wie: Kommt ein Pferd in den Blumenladen und fragt „Haben sie Magheritten?“ bleibt fast kein Auge mehr trocken!
Insgesamt sind wir nochmal gut sechs Stunden unterwegs und es ist wohl unserem äußerst guten Team-Zusammenhalt geschuldet, dass wir fast zeitgleich mit den Klettersteiggehern am Parkplatz ankommen – auf jeden Fall muss es irgend ein 6. Bergfreunde-Sinn sein.
Da es inzwischen schon Nachmittag ist und wir alle sehr hungrig sind, fallen wir mit der Meute noch im nahe gelegenen Gasthof ein. Bei Käsespätzle und Kaiserschmarrn lassen wir das Wochenende revue passieren. Es spricht wohl für sich, dass trotz des engen Raumes, der „menschlichen“ Gerüche und meiner atemberaubenden Witze, kein Anzeichen von Lagerkoller aufkam. Wir beschließen einstimmig, dass wir die ganz schlimmen Stories für immer unter den kratzigen Wolldecken des Matratzenlager begraben und die Aktion zu gegebener Zeit wiederholen!