„It is a strenuous walk with plenty of ascents and descents. Parts of the route across open moorland can be difficult to navigate in poor weather – this and the isolation of these sections can make following parts of the route hazardous. The Beacons Way can be walked in its entirety in about 8 days but could easily take twice as long as there is so much to explore and enjoy en route”(en.wikipedia.org).
Warum ich hier mit einem englischen Zitat aus Wikipedia beginne, hat gleich zweierlei Gründe: Einerseits gibt es zu dem malerisch gelegenen Weitwanderweg kaum Informationen auf deutscher Sprache, andererseits könnten diese wenigen Zeilen kaum treffender beschreiben, was Bergfreund Jan im August 2012 selbst erlebt hat.
Alles kann, nichts muss
Wie kommt man nun auf die Idee, sich ausgerechnet Wales als Reiseziel für eine mehrtägige Trekkingtour auszusuchen? Wenn schon auf die Insel, dann wäre schließlich der West Highland Way in Schottland die wohl bekannteste Option unter den Fernwanderwegen gewesen. Aber nein, mich reizt ein Stück weit das Unbekannte – dieser gewisse Entdeckerdrang in mir sagt, dass sich die nur wenigen hundert Leute pro Jahr, die den Beacons Way laut diverser Forenbeiträge begehen, kaum irren können. Selbstständige Navigation mit Karte und Kompass werden dort als essentiell beschrieben. Überaus wechselhafte Witterungsbedingungen, häufiger Hochnebel sowie Einsturzdolinen abseits des offiziellen Weges versprechen außerdem Abenteuer pur. Und letztlich soll die gesamte Landschaft im Nationalpark natürlich auch überaus reizvoll sein – Sonnenschein vorausgesetzt.
Vielleicht habe ich auch einfach nur zu viele Sendungen mit dem bekannten Abenteurer Bear Grylls geschaut, man weiß es nicht … aber als ich dann auch noch lese, dass im Brecon Beacons Nationalpark – durch welchen der Weitwanderweg führt – regelmäßig britische Spezialeinheiten trainieren, weil die gesamte Geländebeschaffenheit schlicht anspruchsvolle Forderungen an die physische wie psychische Konstitution stellt, ist es schließlich um mich geschehen …
Vorbereitung ist gut, Improvisationstalent besser
Von London geht es nun mit dem Zug weiter nach Cardiff, von dort – nach einer Übernachtung im Hostel – mit der Bimmelbahn in die kleine Ortschaft Abergavenny, dem offiziellen Startpunkt der Tour. Doch was habe ich eigentlich alles dabei? In meinem 65L Rucksack befinden sich neben Schlafsack, Zelt und Isomatte vor allem warme Fleecebekleidung, Nässeschutz und Verpflegung für 7 Tage, gekocht wird mit Spiritus, den ich vor Ort erst noch kaufen muss. Schließlich ist mein Plan, einen Großteil des Weges autark zu bewältigen. Außerdem ganz wichtig: die beiden passenden Kartenblätter für die Region, die Ordnance Survey Maps OL12 & OL13 im Maßstab 1:25.000 sowie Kompass und ein GPS-Gerät zum Aufzeichnen der Tour. Wie sich außerdem herausstellen soll, habe ich gut daran getan, ein paar Bushcraft-Utensilien mitzunehmen. So finden Feuerstein, Fallschirmleine, Taschenmesser und eine kleine Rolle Panzertape ihren Weg in meinem von einem großen Regencape geschützten Rucksack – doch dazu später mehr.
Die Route …
… führt mich am ersten Tag nach einem geruhsamen Schläfchen im weichen Federbett ganz entspannt knappe 20 Kilometer über den ‚Holy Mountain‘ (486 m ü.NN.) bis in den kleinen Ort Llanthony, wo ich ziemlich alleine auf einem Campingplatz nächtige. Das Wetter ist bis dahin eher durchwachsen, wirkliche Aussichten kann ich soweit nicht genießen, doch bekomme ich ein erstes Gespür für die sehr feuchte, teils moorige Landschaft und arrangiere mich mit der Wegfindung. So beschließe ich nach einer falschen Abzweigung und einigen Kilometern Umweg, in Zukunft doch häufiger auf meine Karte zu schauen. Die offiziellen Wegmarkierungen sind derweil nur recht spärlich gesät, und ich freue mich alle paar Stunden wie ein kleines Kind, wenn ich eines der teils deutlich überwucherten, offiziellen Siegel so gerade eben noch im Augenwinkel entdecke.
Zum Frühstück gibt’s nach einer durchwachsenen Nacht erstmal warme Milch mit Haferflocken. Mein kleiner Spirituskocher braucht dafür zwar relativ lange – vor allem im Vergleich zu modernen Gaskochern – doch das System wiegt fast nichts und leistet mir schon seit Bundeswehrzeiten treue Dienste. Bei herrlichem Sonnenschein, welcher sich den ganzen Tag halten soll, geht es also weiter, vorbei an kleinen, richtig mittelalterlich anmutenden Ortschaften, Ruinen aus dem 11. Jahrhundert, durch saftig grünes Unterholz bis nach Crickhowell. Nachdem mein Zelt steht, setze ich mich gemütlich vor meinen Kocher, bereite meine Tütennudeln zu und studiere den weiteren Weg auf der Karte. Obwohl hier im Ort ein relativ großer Campingplatz vorhanden ist und auch einige winzig kleine Bed & Breakfasts den Wegesrand säumen, treffe ich kaum eine Menschenseele. Dafür konnte ich heute das Wetter in aller Seelenruhe genießen und einige phantastische Weitsichten über die Brecon Beacons genießen… so kann es gerne weitergehen!
Britisches Wetter ‚at its best‘
Ich will ja nun an dieser Stelle wirklich keine Vorurteile bedienen, aber wenn’s hier einmal richtig schüttet, dann schüttet’s richtig. Schon das Aufstehen gestaltet sich heuer im Dauerregen bei gefühlten 13°C eher so semi-toll. Bei einem Waliser, den ich auf der Straße treffe, frage ich also mal vorsichtig nach der Wetterprognose und erhalte neben einem mitleidigen Grinsen zumindest die Hoffnung auf Sonnenschein am Nachmittag. Ich entscheide mich also dafür, den Vormittag über etwas abseits des offiziellen Weges zu laufen und folge zunächst dem weniger exponierten ‚Brecon Canal‘ bis zur Ortschaft Llangyndir (ja, diese Ortsnamen sind teilweise echte Zungenbrecher. Außerdem versteht mich kein Mensch, wenn ich sage, wo ich hinwill …).
Da ich auf der Karte allerdings ein vermeintlich schöneres Fleckchen Erde entdeckt zu haben glaube, geht’s noch ein paar Kilometer weiter, während sich auf den letzten Höhenmetern für heute tatsächlich die Sonne blicken lässt. Voller Motivation suche ich also das ‚Talybont Reservoir‘ auf, an dessen Nordufer sich eine Art Jugendherberge mit Zeltplatz und Walderlebniszentrum befindet. Zumindest scheint mir diese Beschreibung am ehesten zutreffend. Und obwohl ich dort eine warme Küche vorfinde, entscheide ich mich, erstmal meine eigenen Vorräte zu verbrauchen – nicht, dass ich das ganze Zeug am Schluss noch umsonst mitgeschleppt habe.
Tag 4 – die Königsetappe
Dieser Abschnitt des Weges wird offiziell als ‚strenuous‘ – als mühsam beschrieben. Das Wetter ist trocken, wenn auch bewölkt, und bietet so beste Voraussetzungen für die 27 km weite Etappe. Die Distanz an sich soll dabei keineswegs die Crux sein, vielmehr sind es die zahllosen Höhenmeter, die mich heute erwarten. Zunächst noch moderat durch Waldgebiete ansteigend, zieht sich der Pfad schon bald relativ steil in die Höhe. Nach etwa 1,5 Stunden erreiche ich daraufhin den zentralen Höhenzug der Brecon Beacons und auf dem ersten Hochplateau angelangt, kommen mir dann auch tatsächlich einige Soldaten im Eilmarsch entgegen – sichtbar ausgelaugt und mit unfassbar viel Gepäck, quälen sie sich die ständigen Aufs- und Abs hinauf und wieder hinunter. Respekt.
Während ich nun neben zahlreichen Tagesausflüglern auf dem Fan y Big (719 m ü.NN.) stehe, bleibt trotz allem ein kurzer Moment der Stille. Mein Blick schweift über die weit ausladende, sanft hügelige grüne Landschaft und ich schätze meine Sichtweite auf gut 20-25km. Dies sind schließlich genau die Momente für die ich hergekommen bin! Nun noch eine Scheibe Pumpernickel zur Stärkung und schon kann’s weitergehen. Zunächst wieder steil hinab, um dann geradewegs den Pen y Fan zu erklimmen – mit 886 m ü.NN. seines Zeichens die immerhin höchste Erhebung im südlichen Wales. Ein kurzer Blick zurück lässt jedoch Böses vorausahnen, zeigt sich am vermeintlich noch weit entfernten Horizont doch eine ziemlich dunkel-bedrohlich dreinschauende Wolkendecke. Kaum habe ich einen Gang zugelegt, um zumindest noch halbwegs trocken den Gipfel zu erreichen, löst sich diese Hoffnung mir nichts, dir nichts in Wohlgefallen auf. Die Sicht beschränkt sich im Nu auf weniger als 10 Meter und einmal am Gipfelobelisk angekommen, habe ich ernsthaft Mühe, den richtigen Weg bergab zu finden. Schließlich schaffe ich es im Sturzregen auf den ziemlich stark erodierten Wegen unbeschadet bis ins Tal hinabzusteigen und erreiche die Unterkunft ‚Storey Arms‘. Da hier jedoch auch nach einer halben Stunde des Wartens keine Menschenseele auftaucht, entscheide ich mich, eine bewirtete Hütte etwa 2 km abseits des Weges aufzusuchen, die mir heute die beste Gelegenheit darstellt, meine ganze Ausrüstung trocken zu legen. So kommt dieser Tag, der für mich selbst die Königsetappe der ganzen Tour darstellt, doch noch zu einem überaus versöhnlichen Ende, gibt es dort nämlich nicht nur warmes Essen, sondern auch die ein oder andere Flasche Wein, die ich zusammen mit einer deutschen Familie und zwei schottischen Wandersleuten bis spät in den Abend hinein zu verjubeln weiß.
Unverhofft kommt oft
Verdammte Axt noch eins, jetzt hab ich mich doch tatsächlich verlaufen. Dabei meinte der Hüttenwirt vor meinem morgendlichen Aufbruch noch, heute wäre kein guter Tag zum Wandern. Regen und dichter Hochnebel den ganzen Tag seien vorausgesagt. Aber nein, ich musste natürlich, mit meinem noch leicht vom Vorabend verkaterten Kopf, unbedingt heute weiterziehen …
So stehe ich jedenfalls inmitten dieser moorigen, von Heidekraut überwucherten Hochebene wie der Ochs vorm Berge und verfluche lauthals Petrus für dieses Wetter. Der Kompass zeigt mir zwar die Richtung an, in welche ich grob laufen müsste, doch von irgendetwas, das auch nur im Entferntesten wie ein Weg aussieht, bin ich längst über eine Stunde entfernt. Das letzte Zeichen, nachdem ich noch ansatzweise richtig bin, war das Steinmännchen vor rund einem Kilometer. Also folge ich meinem Instinkt und rutsche irgendwann in einem Sud aus schlammiger Wiese und Schafmist auf meinem Hosenboden 50 Meter einen steilen Abhang runter. Na toll. Nicht nur klitschnass, sondern auch noch von unten bis oben voll mit… na, ihr wisst schon. Heute ist echt nicht mein Tag …
Nach einem kurzen Moment der Besinnung höre ich jedoch das Rauschen eines kleinen Wasserfalls und kann anhand dessen immerhin meine eigene Position auf der Karte bestimmen. Über die ‚Old Roman Road‘, welche bei extrem schlechter Sicht für Wanderer als Ausweichstrecke empfohlen wird, reiße ich somit Kilometer für Kilometer runter – einzig unterbrochen von mehreren ein bis zwei Meter breiten Sturzbächen, über die ich jedes Mal mit meinem ganzen Geraffel drüber springen muss. Na klar. Die Strömung, mit der es hier den Hang runterschießt, ist dabei so stark, dass es mir glatt die Beine wegziehen würde. Also fliegt zuerst immer der Rucksack auf die andere Seite, anschließen folge ich, jedes Mal in der Hoffnung, dass der unterspülte Boden auf der anderen Seite mein Gewicht hält. Dieses Spiel wiederholt sich schließlich einige Male, sodass es fast zur Routine wird, bevor ich das ‚Ogof Ffynnon-ddu National Nature Reserve‘ erreiche. Gesundheit.
Dieses Gebiet ist bekannt für sein großflächiges Höhlensystem und die zahlreichen Karstdolinen, welche hier den Weg säumen. Umso wichtiger, letzteren auf Teufel komm raus nicht zu verlassen – was sich jedoch im nach wie vor dichten Nebel als gar nicht so leicht herausstellt. Immerhin sind die größeren Einsturztrichter deutlich auf der Karte markiert. Etwas trickreicher hingegen wird es in den sogenannten ‚Area of Shake Holes‘, mit meist kaum zu erkennenden Rissen, Trichtern und Löchern im Boden, häufig überwuchert und somit nur schwer wahrzunehmen. Letzten Endes schaffe ich es jedoch nach 30 Kilometern, vollständig durchnässt und mit der Karte als meinem treuesten Begleiter, bis in’s ‚Tawe Cwm‘.
Mit einer soliden Portion Welthass, da inzwischen selbst die letzte trockene Socke in meinem eigentlich geschützten Rucksack genug Wasser für ein halbvolles Glas zu trinken enthält, schlage ich also mein Camp auf und lasse den Tag Revue passieren … Unterhose nass, Schlafsack nass und im Zelt sieht’s aus wie in einer Tropfsteinhöhle. So verbringe ich die Nacht mehr fröstelnd als schlafend und stelle mir die Frage, warum ich eigentlich nicht auf der verdammten Hütte geblieben bin …
Ein versöhnlicher Abschied
Am Morgen darauf gilt meine erste Aufmerksamkeit kleineren Reparaturen an der Ausrüstung. Während ich die immer noch nassen Socken über dem Kocher zum Trocknen aufhänge, muss ich feststellen, dass sich mehrere Nähte meiner Wanderschuhe bereits ins Nirvana verabschiedet haben. Die kleineren Löcher im Regencape (vermutlich von der ein oder anderen Bekanntschaft mit Dornengestrüpp?!) lassen sich hingegen fix mit etwas Panzertape flicken – für die Schuhe braucht’s jedoch mehr als das. Damit das teilweise überlappende Obermaterial hier nicht noch weiter aufreißt, ziehe ich einfach zwei Kabelbinder um jeden Schuh. Sieht zwar nicht schön aus, ist aber definitiv selten. Das Wichtigste jedoch: es hält – sehr zu meiner eigenen Verwunderung.
Der Tag verspricht nach dem morgendlichem Nieselregen ebenfalls schon bald deutlich schöner zu werden und beglückt mich mit wärmenden Sonnenstrahlen. Kurz darauf hängt die Hälfte von meinem Gerödel zum Trocknen außen am Rucksack, während mich die Landschaft abermals in ihren Bann zieht. Entlang des ‚Lyn y Fan Fawr‘, dem höchstgelegensten See Südwales, folge ich dem Höhenzug um den ‚Fan Brycheiniog‘ und erreiche am Nachmittag mein gesetztes Ziel – inklusive herrlichem Sonnenuntergang über der sanft hügeligen Landschaft der Brecon Beacons, welche mich bis dahin stets in einem Wechselbad der Gefühle haben stehen lassen.
Der siebte und damit letzte Tag meiner Tour hingegen bietet wenig aufregende Highlights. Während sich die Wegführung bis zur Niederschrift dieser Zeilen scheinbar leicht geändert hat, nehme ich die „offiziellen“ Etappen 7 sowie 8 zusammen und gönne mir einen herrlichen 42km Trek bis zum Ziel in der Ortschaft Bethlehem. Wenige Höhenmeter, dafür einige antike Ruinen und Hinterlassenschaften einst vergangener Tage lassen reichlich Zeit zum Nachdenken. So erreiche ich letztlich erschöpft aber glücklich die Holzbank am offiziellen Zielpunkt des Beacons Way und bin dann jetzt einfach mal da. Keine Ahnung was ich mir vorgestellt habe, wie es sein wird, wenn ich ankomme – aber jetzt setze ich mich jedenfalls erstmal einige Minuten hin, esse meinen letzten Schokoriegel und gehe irgendwann einfach weiter …